Agenda zukunftsorientierte Verbraucherforschung
Initiiert vom Sprecher des Koordinierungsgremiums des Bundesnetzwerks Verbraucherforschung hat das Fachgebiet Soziologische Theorie der Universität Kassel in den Jahren 2023 und 2024 einen Agendaprozess zur zukunftsorientierten Verbraucherforschung ausgerichtet. Das Projekt wurde vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages gefördert.
Whitepaper „Die Zukunft des Konsums” (Dez. 2024)
Lamla, Jörn/Heidbrink, Ludger/Hohnsträter, Dirk/Loer, Kathrin/Roschka, Jakob (2024): Die Zukunft des Konsums. Agenda zur Neuperspektivierung der Verbraucherforschung. Kassel: Universität Kassel. DOI: 10.17170/kobra-2024110711087.
Das Whitepaper beleuchtet zentrale Herausforderungen für die interdisziplinäre Konsum- und Verbraucherforschung im Kontext gesellschaftlicher Krisen des neuen planetaren Zeitalters. Es kritisiert die unzureichende wissenschaftliche und öffentliche Auseinandersetzung mit Konsumthemen und fordert, diese als komplexes Weltverhältnis neu zu denken. Ziel ist es, zentrale Aufgaben zu herauszustellen und Handlungsfelder zu skizzieren, die einen wissensbasierten Umgang mit der Rolle des Konsums ermöglichen. Dazu ruft das Whitepaper auf, gewohnte Denkmuster zu hinterfragen, Widersprüche offenzulegen und kollektive Diskussionen über die Bedeutung des Konsums für Gesellschaft und Zukunft anzustoßen.
Als kontinuierlicher Diskussions- und Arbeitsprozess streckte sich die Agendafindung über einen Zeitraum von 18 Monaten (07/2023 bis 12/2024). In einer Reihe von sechs Workshops an unterschiedlichen Orten wurde – unter Einbindung von Expertise aus dem Bundesnetzwerk Verbraucherforschung und darüber hinaus – die inhaltliche Ausrichtung der Verbraucherwissenschaften überprüft und wurden in Form eines abschließenden Whitepapers Impulse für eine zukünftige Neuausrichtung gegeben. Nach einem Auftaktworkshop im Spätsommer 2023 fand jedes Quartal eine inhaltlich fokussierte Workshop- oder Tagungsveranstaltung statt. Themenfelder waren u.a. Nachhaltigkeit, Digitalisierung, soziale/materielle (Eigentums-)Rechte, Professionalisierung sowie Verantwortung.
Video-Aufzeichnungen der im Projekt gehaltenen Vorträge
Jakob Roschka stellt im ersten Teil dieses Vortrags vor, wie es zu dem Projekt „Agenda zukunftsorientierte Verbraucherforschung” kam, welche Schritte auf dem Weg gegangen wurden und wie das Whitepaper „Die Zukunft des Konsums – Agenda zur Neuperspektivierung der Verbraucherforschung“ entstanden ist. Prof. Dr. Jörn Lamla präsentiert im Anschluss den Aufbau und die wesentlichen Argumente des Whitepapers.
Der Vortrag wurde im Rahmen des Abschlussworkshops des Projekts am 06.12.2024 in Berlin gehalten.
Videoaufnahme zur Vorstellung des Agenda-Prozesses und der Präsentation des Whitepapers
Der Vortrag versucht sich an einer systematischen Differenzierung von verschiedenen Formen der Verantwortung angesichts des exzessiven Konsums in Industriegesellschaften. Dazu wird zuerst analysiert, wer beim Konsumieren der Adressat von ethisch-moralischer Rücksicht ist. Es zeigt sich, dass wir nicht nur unseren Mitmenschen und Tieren rund um den Globus, sondern auch uns selbst gegenüber unverantwortlich oder verantwortlich konsumieren können. Zudem sind die Möglichkeiten verantwortlichen Konsumierens trotz verschiedener Ermächtigungskanäle limitiert. Die Möglichkeiten zu verantwortlichem Konsum sind in ihrem komplementären und interdependenten Wechselverhältnis zur strukturellen Verantwortung zu denken, unser Wirtschaften und Konsumieren von außen einzuhegen und neu zu ordnen.
Dr. Valentin Beck ist Direktor am Institute of Global Value Inquiry. Seine Forschung bewegt sich an der Schnittstelle von Verantwortung, Konsum und globaler Gerechtigkeit. Zu seinen Veröffentlichungen zählt das 2016 bei Suhrkamp erschienene Buch „Eine Theorie der globalen Verantwortung – Was wir Menschen in extremer Armut schulden“.
Der Vortrag bildete den Auftakt zum Abschlussworkshop des Projekts „Agenda zukunftsorientierte Verbraucherforschung“.
Die Veranstaltung wurde organisiert durch das Fachgebiet Soziologische Theorie an der Universität Kassel, dem Lehrstuhl BWL, insb. Marketing an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf sowie dem Kompetenzzentrum Verbraucherforschung NRW.
Programm:
18:00 Uhr – Begrüßung
Dr. Christian Bala (Kompetenzzentrum Verbraucherforschung NRW)
18:10 Uhr – Inhaltliche Einführung
Prof. Dr. Jörn Lamla (Universität Kassel)
18:30 Uhr – Podium
Prof. Dr. Jörn Lamla (Universität Kassel)
Claudia Schöllgen (Verbraucherzentrale NRW)
Dr. Katharina Witterhold (Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik)
Prof. Dr. Gunnar Stevens (Universität Siegen)
Moderation:
Dr. Christian Bala (Kompetenzzentrum Verbraucherforschung NRW)
19:45 Uhr – Ende
Abstract:
Das Eigentum an Konsumgütern stiftet eine spezifische Form der Dingbeziehung: Wenn ein Ding (eine Uhr, ein Auto, ein Smartphone) „meins“ ist, bedeutet dies, dass ich nahezu unbeschränkt darüber verfügen kann. Gerade das führt aber auch dazu, dass mir solche Dinge „ans Herz wachsen“: Gerade weil es mein Fahrrad ist, möchte ich nicht, dass es nass wird oder rostet oder beschädigt wird. Eigentum erzeugt also eine Verfügbarkeits- und eine Sorgebeziehung, die in der Regel erst dann endet, wenn wir die Dinge ent-sorgen, also wegwerfen. Der Turbo-Kapitalismus kann aber so lange nicht warten: er ist darauf angewiesen, dass wir die Dinge in immer rascherer Folge austauschen. Dies erklärt den in sehr vielen Konsumbereichen beobachtbaren Trend vom Besitzen der Dinge (z.B. Soft- und Hardware, Bild- und Tonerzeugnisse) zu ihrem „Nur-Nutzen“ über Nutzer- und Wartungsverträge.
Hartmut Rosa ist Professor für Allgemeine und Theoretische Soziologie an der Universität Jena. Er ist Direktor des Max-Weber-Kollegs in Erfurt und Co-Sprecher des Sonderforschungsbereichs 294 „Strukturwandel des Eigentums“. Zu seinen Veröffentlichungen zählen „Beschleunigung. Die Veränderung der Zeitstrukturen in der Moderne“ (Suhrkamp-Verlag, 2005), „Resonanz: Eine Soziologie der Weltbeziehung“ (Suhrkamp-Verlag, 2016) sowie „Unverfügbarkeit (Unruhe bewahren)“ (Residenz-Verlag, 2018).
Der Vortrag fand im Rahmen des Projektes „Agenda Zukunftsorientierte Verbraucherforschung“ in Kooperation der Universität Kassel mit dem Max-Weber-Kolleg in Erfurt statt. Über anderthalb Jahre treffen sich in regelmäßigen Abständen Wissenschaftler*innen und Praktiker*innen aus der Verbraucher*innen-Arbeit und diskutieren darüber, welche Fragen und Herausforderungen wichtig für die Beforschung des Themas Verbrauch und Konsum sind. Am Ende soll ein Empfehlungspapier entstehen, in dem die Agenda für eine zukunftsorientierte Verbraucherforschung formuliert wird. Das Projekt wird vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages gefördert.
Abstract:
Infrastrukturen können ein großer Hebel in der sozial-ökologischen Transformation sein. Sie lenken Praktiken des Verbrauchs, aber auch verbrauchsbezogene Wahrnehmungen und insbesondere ihre Digitalisierung wird häufig als ein Ermöglicher nachhaltigen Konsums gepriesen. In ihrem Vortrag wird Cordula Kropp ich dem Zusammenhang zwischen diesen langlebigen großtechnischen Systemen (Mayntz & Hughes 1988) und sozial organisierten Konsumpraktiken (Cass et al. 2018) auf den Grund gehen. Auf dieser Basis werden vorliegende Ansätze der Stärkung nachhaltigen Konsums durch digitale Vernetzung und digital unterstützte Koordinations- und Partizipationstools diskutiert. Der Vortrag lädt dazu ein, den Infrastrukturwandel experimenteller und unkonventioneller zu denken. Zugleich zeigt er auch die Grenzen bestehender Ansätze dafür auf. Inhaltlich wird der Schwerpunkt auf der so genannten deutschen Energie- und Bauwende liegen.
Die Keynote fand im Rahmen des Workshops „Digitale Konsumwelten, KI und Selbstbestimmung als Herausforderungen für eine zukunftsorientierte Verbraucherforschung“ als Teil des Agendaprozesses „Zukunftsorientierte Verbraucherforschung“ statt. Die Keynote spannt eine Brücke zwischen dem Thema des ersten inhaltlichen Workshops zum Thema „Verbrauchen im Anthropozän“ und dem Workshop in Kassel.
Video-Aufnahme der Keynote „Infrastrukturen als Weichensteller des Umweltverbrauchs“
Präsentationsfolien der Keynote „Infrastrukturen als Weichensteller des Umweltverbrauchs“
Abstract:
Eine transformative Konsum- und Verbraucherforschung hat das Ziel, derzeitige nicht-nachhaltige Muster alltäglichen Konsums und der hierfür relevanten Versorgungssysteme in eine gleichzeitig soziale und ökologisch verträglichere Richtung zu verändern. Der Vortrag exploriert Überfluss, Grenzenlosigkeit und Schadschöpfung als Merkmale gegenwärtiger Konsum- und Produktionssysteme und fragt, wie diese drei dicken Bretter in der Verbrauchsforschung konsequent angegangen werden können.
Impulse vom Abschlussworkshop „Agenda zukunftsorientierte Verbraucherforschung“, 05.–06.12.2024, Berlin
Beim Abschlussworkshop am 05.–06.12.2024 wurde das Whitepaper der Fachöffentlichkeit präsentiert und zur Diskussion gestellt. Jeremias Herberg (Umweltbundesamt), Prof. Dr. Sophia Becker (Forschungszentrum für Nachhaltigkeit Potsdam) und Henrik Fork-Weigel (Verbraucherzentrale Bundesverband) gaben Kommentare auf die Agenda.
Am Nachmittag wurde das Whitepaper von Prof. Dr. Jörn Lamla (Universität Kassel) an Helga Springeneer vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz überreicht.
Impulse vom Workshop "Professionalisierung im Verbraucherschutz" (25./26.09.2024, Düsseldorf)
Am 25. und 26.09.2024 fand im Heinrich-Heine-Institut der vierte inhaltliche Workshop zum Thema „Professionalisierung im Verbraucherschutz und die Rolle der Verbraucherwissenschaften" statt. Die Kleingruppenarbeiten widmeten sich Fragestellungen, die während des Workshops erarbeitet wurden, darunter:
– Was ist die Klientel von Verbraucherschutz?
– Was sind Zieldefinitionen des Verbraucherschutzes?
– Wie kann die Kommunikation und Sichtbarkeit des Verbraucherschutzes als Profession erhöht werden?
– Wie kann die konkrete Alltags- und Beratungsebene des Verbraucherschutzes mit der politischen Bearbeitung dieser Probleme zusammengebracht werden?
Impulse vom Workshop "Verbrauchen im Anthropozän" (07./08.12.2023, Wuppertal)
Vom 07. bis 08.12.2023 fand im Wuppertal Institut der erste inhaltliche Workshop zum Thema „Verbrauchen im Anthropozän“ statt. Bei dem Workshop wurde auf der Basis von Fallimpulse aus den Bereichen „Reparatur“, „Zirkularität“ und „Nachbarschaft“ Akteure, Praktiken und Diskurse der Verbraucherforschung gemappt und auf dieser Basis Fragestellungen für die Agenda erarbeitet.
Impulse vom Auftaktworkshop (20./21.09.2023, Hofgeismar)
Vom 20. bis 21.09.2023 fand in der Ev. Akademie in Hofgeismar der Auftaktworkshop des Projekts statt. Darin wurden erste Rahmenbedingungen für die zu formulierende Agenda festgehalten und Verantwortlichkeiten und Rollen für den Agendaprozess definiert.
Programme der im Projekt ausgerichteten Workshops
Im Rahmen des Agendaprozesses wurden folgende Veranstaltungen durchgeführt:
- Auftaktworkshop: Agenda für eine zukunftsorientierte Verbraucherforschung (Hofgeismar, 20.–21.09.2023)
- Verbraucherschutz, Verbraucherverhalten und Verbraucherteilhabe im Anthropozän (Wuppertal, 07.–08.12.2023)
Kooperation mit dem Wuppertal Institut und der Bergischen Universität Wuppertal - Digitale Konsumwelten, KI und Selbstbestimmung (Kassel, 13.–14.03.2024)
Kooperation mit dem Wissenschaftlichen Zentrum für Informationstechnik-Gestaltung an der Universität Kassel - Eigentum, soziale Rechte und Versorgung – zur Ausweitung der Verbraucherpolitik (Erfurt, 27.–28.06.2024)
Kooperation mit dem Max-Weber-Kolleg und dem Sonderforschungsbereich 294 „Strukturwandel des Eigentums“ - Professionalisierung von Verbraucherschutz und -wissenschaft – Lernen von den Umweltwissenschaften (Düsseldorf, 25.–26.09.2024)
Kooperation mit dem Kompetenzzentrum Verbraucherforschung NRW und dem Fachgebiet Betriebswirtschaftslehre, insb. Marketing an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf - Abschlusstagung: Verbrauchen und Verantworten – normative Perspektiven und Handlungsbedarf in Verbraucherwissenschaft und -politik (Berlin, 05.–06.12.2024)