Mitte
Hi, dieser Audioguide führt dich durch Kassel Mitte. Die Faltkarte zeigt dir deine heutigen Anlaufstellen. Wir werden dich selbstverständlich mit unseren Stimmen leiten.
Kapitel 1
Als erstes solltest du dich zu dem Landgraf-Philips-Platz bewegen. Schau dich ein bisschen um.
Neben den Mehrfamilienhäusern erstreckt sich ein Wahrzeichen Kassels, die Martinskirche.
Sie ist die größte Kirche in Kassel und bietet 1400 Besuchern Platz. Erstaunlich, oder?
Wie du erkennen kannst hat der 2. Weltkrieg Narben an der Kirche hinterlassen, sodass die zwei Türme neugestaltet werden mussten. Komisch, dass man sie nicht einfach in der ursprünglichen Form wiederhergestellt hat, nicht? Dahinter steckt ein denkmalpflegerisches Prinzip: Neue Ergänzungen sollen sich architektonisch und gestalterisch immer deutlich von den erhaltenen historischen Spuren absetzen. Wenn man verlorene Teile komplett wiederherstellt, wird das als „Geschichtsfälschung“ betrachtet. Aber man kann natürlich lange darüber streiten, wie stark der Kontrast zwischen „Alt“ und „Neu“ ausfallen sollte. Hier an der Martinskirche hat man einen mittleren Weg gewählt – die Kubatur entspricht im Wesentlichen der Vorkriegsversion, aber die Gestaltung ist sehr modern. Durch das Material und die Farbe der Ergänzung passen die neuen Teile aber ganz gut zu den historischen Teilen.
Mehrfach wöchentlich findet in der Kirche auch der gut besuchte Gottesdienst statt.
Um unseren nächsten Punkt anzusteuern solltest du zurück auf die Untere Königsstraße. Vielleicht erkennst du auf dem Weg dorthin eine kleine Metallplatte im Boden eingebettet.
Hier stand früher der hohe Turm der ehemaligen Befestigungsanlage.
Nun gut. Folge der unteren Königsstraße nach links.
Ohh und pass bitte auf den Tramverkehr auf!
Übrigens siehst Du, wenn Du genau hinschaust, dass die Straße erst vor kurzem umgestaltet wurde. Die Bäume wurden neu gepflanzt, und die Pflasterung ist auch ganz neu. Und die Bänke … Könnt Ihr Euch vorstellen, wie die Bäume überhaupt überleben? Sie haben doch gar keine Baumscheibe, durch die das Wasser die Wurzeln erreichen kann. Man hat hier extra eine unterirdische Bewässerung eingebaut, und den Bäumen geht es eigentlich ganz gut.
In den Gebäudefronten sind überwiegend Geschäfte und Läden angesiedelt, aber in den höheren Stockwerken befinden sich durchaus auch bewohnte Wohnungen.
Jetzt musst du nur noch am City Point vorbei und gelangst zu unserem nächsten wichtigen Punkt, dem Königsplatz.
Wenn du angekommen bist, dann Stelle dich in die Mitte des Platzes.
Kapitel 2
Der Königsplatz wurde 1767 angelegt und ist damit ca. 250 Jahre alt. Wahnsinn, oder? Er erhielt seinen Namen nach dem Landgrafen Friedrich I. der gleichzeitig auch König von Schweden war. Die exakte runde Form ist eigentlich selten für Plätze und passt ja auch nicht so wirklich zu der Neigung des Platzbodens. Sie ist auf die Entstehungszeit im Barock zurückzuführen, wo Stadterweiterungen sehr geometrisch angelegt wurden. Strenge Platzformen und rechtwinklige Straßenraster, die sich stark von den mittelalterlichen Stadtgrundrissen unterscheiden, findet Ihr auch westlich von hier überall.
Der Ring besaß viele wichtige Gebäude, wie das der Landesregierung und der Oberpostdirektion.
Du warst mit Sicherheit schon mal im City Point. Es ist das modernste Gebäude am Königsplatz.
Auf dem Grundstück befand sich früher die Oberpostdirektion bzw. die Hauptpost von Kassel. Dann stand hier sehr lange Zeit ein Kaufhaus aus der Nachkriegszeit, das aber nicht mehr attraktiv war. Um die Gestaltung des City Points gab es viele Diskussionen. Die haben schließlich zu der interessanten, aber auch umstrittenen gläsernen Fassade geführt, die von weit weg eigentlich etwas komisch aussieht. Aber geht mal näher ran! Seht Ihr, was das eigentlich für ein Muster ist? … Auf das Glas sind lauter historische Fotos von Kassel aufgedruckt, so dass das Gebäude sehr modern ist, aber gleichzeitig auch sozusagen die Geschichte der Stadt in den vielen kleinen Fotos bewahrt.
Wenn Du nach Westen schaust, siehst Du das Gebäude von Peek&Cloppenburg. Das ist auch ganz interessant, nicht nur weil es gerade vor wenigen Jahren neu gebaut worden ist, sondern auch in seiner Architektur. Schau mal genauer hin, was fällt Dir auf? … Ja, genau, die Fenster sind riesengroß und asymmetrisch. Das ist der derzeitige Architekturstil, der dem Gebäude ein besonderes Gesicht geben will, das nicht so langweilig wie ältere Kaufhäuser ist. Aber noch etwas ist hier wichtig: Hinten anschließend an den Neubau ist eine historische Fassade … wenigstens scheinbar. Sie wurde schon früher mal zerstört und wiederaufgebaut, und dann im Zweiten Krieg nochmal zerstört und danach wiederaufgebaut. Als Peek&Cloppenburg kam, musste sie das dritte Mal weichen, da die innere Organisation des Textilkaufhauses keinen Erhalt zuließ. Der Denkmalbeirat der Stadt Kassel hat dieser Lösung schließlich zugestimmt, da die Vorgängerfassade ja auch schon nicht mehr original war.
Der 2. Weltkrieg hat hier auch sonst tiefe Narben hinterlassen. Fast alle Gebäude wurden weggebombt. Eventuell ist dir auch schon die Commerzbank architektonisch aufgefallen. Es ist das älteste Gebäude am Königsplatz und hat den Weltkrieg überlebt. Früher befand sich dort die Zentrale des Hessischen Bankvereins.
Bis April 2019 stand ein Obelisk in der Mitte des Platzes. Er wurde im Juli 2017 für die documenta 14 entworfen. Der Titel lautet “Das Fremdlinge und Flüchtlinge Monument“. Mittlerweile steht der Obelisk in der Treppenstraße. Wir werden dort nachher vorbeikommen und ein bisschen genauer drauf eingehen.
Heute wird der Platz vor all dem als Tramumsteigestation, sowie als Einkaufsmeile benutzt. Die Platzfläche selbst wurde in den letzten Jahren übrigens auch mehrmals umgestaltet, was zeigt, wie schwierig das mit so einem runden Platz und den vielen Funktionen ist, die er aufnehmen soll. Das wäre aber jetzt eine sehr lange Geschichte, die übrigens viel mit der documenta zu tun hat …
Im Sommer gibt es deutlich schönere Erholungsgebiete in der Stadt, obwohl die Bäume in ihrer Blütephase auch ein gewisses Extra bieten.
Der jährliche Weihnachtsmarkt lässt das Gebiet in einem festlichen Glanz wirken und sollte definitiv mal genossen werden.
In den nächsten Minuten kannst du dich gerne noch weiter umschauen und dir etwas zu essen und einen Kaffee besorgen.
Schau dich nochmal genau um. Siehst du das Schuhmann Werbeplakat an der Gebäudefront?
Super! Folg dem Straßenverlauf auf der linken Seite, bis du am Spielplatz angekommen bist.
Kapitel 3
Du befindest dich jetzt am Entenanger. Hier soll der mittelalterliche Wallgraben gelegen haben. Anscheinend lebten hier früher wirklich Enten.
Wie du schon bemerkt hast dient die Gegend vor allem als Wohngebiet mit Mehrfamilienhäusern.
Nach dem 2. Weltkrieg war die Gegend nach Kriegszerstörung lange unbewohnt und mit viel Schutt umgeben. Der Wiederaufbau folgte Konzepten, die teilweise schon in der Nazi-Zeit entstanden sind. Man hat hier ein eher kleinstädtisches Bild entworfen und dabei so ganz grob auf die Straßenverläufe der Vorkriegszeit geachtet. Die Platzfläche des Entenangers ist beispielsweise eine Neuerfindung. Dieser Platz und die großen Höfe sollten die Wohnbedingungen gegenüber der Vorkriegszeit mit ihren dicht bebauten Innenhöfen verbessern. Dort gibt es heute sehr viel Grün, das aber an vielen Stellen nicht sehr intensiv genutzt ist. Schaut ruhig mal in einen Hof, wenn Ihr einen offenen Durchgang findet.
Nach und nach kam in den 1950er Jahren wieder mehr leben in diese Gegend. Die Fleischereien zogen zum Entenanger und provitierten von der ausgehungerten Nachkriegskundschaft. Nach dem erneuten Umzug des Fleischmarkts in die Kleinmarkthalle, die wir gleich noch genauer unter die Lupe nehmen, entwickelte sich Kassels Nachkriegs-Dorfplatz zu einem Einkaufsziel mit Fachgeschäften mitten in der Altstadt.
1980 drohte der Entenanger zu einer tristen Einöde voller Autos von oben bis unten zu verkommen, doch eine Einbahnstraße regt zur Verkehrsberuhigung an. Es gab auch längst einen Wettbewerb zur Umgestaltung, bei der der Parkplatz verkleinert werden sollte. Doch er konnte wegen politischem Widerstand bislang nicht umgesetzt werden.
Um zu unserem nächsten historischen Punkt zu gelangen, suche Joes Bierhaus in Richtung Süden.
Halte dich links davon.
Auf der rechten Seite solltest du die Markthalle erblicken. Wenn Du noch kurz nach links blicken möchtest, siehst Du am „Graben“ ein paar modernisierte Häuser mit sehr kuriosen Eingangstüren. Hier hat die städtische Wohnungsgesellschaft GWG versucht, nicht mehr so attraktive Gebäude aus den 1950er Jahren umzugestalten und so neue Mieter in die Innenstadt zu locken. Kaum zu glauben, dass die Gebäude vorher so langweilig wie manche der noch immer unsanierten Gebäude aussahen. Wer von Euch noch Lust hast, kann auch mal schnell in den Hof schauen. Dort sieht man neue Balkone, die an die Fassade angehängt wurden und den Häusern noch einen besonderen Pfiff geben. Denn ohne Balkon kann man heute kaum noch eine Wohnung gut vermieten.
In der Markthalle locken über 70 Marktbeschicker, aus allen Teilen Nordhessens, Südniedersachsens, Thüringens und Ostwestfalens mit ihren bunten und vielfältigen Angeboten.
Seit Mitte der 1960er Jahre hat der Wochenmarkt einen festen Platz im ehemaligen Marstall erhalten.
Der Marstall wurde 1591 im Stile der Weserrenaissance erbaut. Das Gebäude diente der Unterbringung der landgräflichen Pferde und Kutschen. Darüber hinaus waren in dem Gebäude noch eine Rüstkammer, die fürstliche Bibliothek, eine Kunstkammer, eine Schneiderei und weitere wechselnde Einrichtungen untergebracht.
1965 zog der Fleischmarkt sowie die Obst und Gemüsestände in den wiederaufgebauten Marstall, der während des 2. Weltkrieges ausbrannte. Bis dato wurde die Markthalle immer wieder umgebaut. 1994 wurde ein Glasdach eingerichtet, um das Erdgeschoss mit Tageslicht zu versorgen und die Marktstände wurden modernisiert. 2008 erhielt es ein neues Dach und neue Fenster. Um Energie zu sparen wurde auch eine Wärmerückgewinnungsanlage eingebaut, aber auch die Fassade und die historischen Figuren wurden erneuert. Leider fehlen dem Markt immer mehr Händler, diese kämpfen mit steigenden Lieferkosten und zusätzlichen Personalkosten. Darum soll die Markthalle bald noch einmal umgebaut werden. Wenn du möchtest, dann kannst du dort auch selbst deine Waren anbieten.
Gehe jetzt zurück zu Joes Bierhaus und folge dem Lärm der Hauptverkehrsstraße bis zum Steinweg.
Wenn Du über die Straße schaust, siehst Du das massive Gebäude des Regierungspräsidiums Kassel in einem Park über der Fulda stehen. Die strenge moderne Architektur und die große Freifläche, die man eigentlich wegen des Verkehrs kaum sinnvoll nutzen kann, entsprechen heute eigentlich nicht mehr unseren städtebaulichen Vorstellungen einer Innenstadt. Das alles steht aber mehr oder weniger unter Denkmalschutz, weil es sich um besondere Zeugnisse einer Epoche handelt. Hier stand vor dem Krieg das kufürstliche Stadtschloss, das bis etwa an den heutigen Steinweg reichte. Damals war die städtebauliche Situation also ganz anders. Dass der Steinweg so breit durch die Innenstadt schneidet, ist typisch für den Wiederaufbau von Kassel. Damals hat man dem Verkehr eine besondere Rolle zugeschrieben, und Kassel wurde damals als die verkehrlich modernste Stadt in Deutschland gepriesen. Fußgänger mussten die großen Straßen durch Unterführungen wie am Holländischen Platz überwinden, Überwege gab es gar nicht. Inzwischen sind einige von ihnen zugeschüttet worden. Man kann die allmählichen Veränderungen ganz gut links am Altmarkt sehen, der mal die Mitte der Altstadt war, heute aber trotz allmählicher Umgestaltung immer noch ein sehr verkehrsorientierter Platz. Dort gehen wir aber jetzt nicht hin. Gegenüber sieht man auch noch den Komplex des Renthofs, der neben kleineren Resten eigentlich so mehr oder weniger das einzige größere Überbleibsel der historischen Altstadt ist. Aber auch dort musste einiges nach dem Krieg saniert und ergänzt werden. Du kannst ja mal darauf achten, wo Du in der Innenstadt noch kleinere Spuren der Vorkriegsbebauung siehst. Gleich kommen wir zu einer.
Jetzt folgst du dazu dem Straßenverkehr des Steinwegs bzw der Frankfurterstraße nach rechts bis du unser letztes Gebäude von Kapitel 3 erreichst, nämlich dem Zwehrenturm.
Der Zwehrenturm wurde 1330 im gotischen Stil erbaut und ist ein historisches Überbleibsel der ehemaligen Stadtbefestigung. Er wurde als Stadttor in Richtung Frankfurt benutzt, aber diente auch als Gefängnis. Im Jahr 1709 ließ Landgraf Karl den Turm zu einer Sternwarte mit drehbarer Kuppel umbauen. Durch die drehbare Kuppel schwankte der Turm stark und die Sternwarte konnte nicht gut benutzt werden. Deshalb wurde später das Drehwerk in das Naturkundemuseum Ottoneum eingebaut. Landgraf Friedrich II. hat das neu erbaute Fridericianum mit dem Zwehrenturm verbunden .
Um den Friedrichsplatz genauer beobachten und analysieren zu können, bitten wir dich, dich auf eine rote Bank in der Mitte des Platzes zu setzen.
Kapitel 4
Der Friedrichsplatz wurde 1768 angelegt und wurde nach Landgraf Friedrich II. benannt. Der Platz sollte die historische Altstadt abgrenzen und gleichzeitig auch ein Bindeglied zwischen Altstadt und Oberneustadt dienen. Nochmal zur Erinnerung, wir sind vorhin Gebiete der Altstadt abgelaufen (Martinskirche, Entenanger, Markthalle, Zwehrenturm). Ihr könnt euch hoffentlich vorstellen in welchem Raum sich die Befestigungsanlage und Altstadt erstreckt hat. In die Entgegengesetzte Richtung erstreckte sich die frühere Oberneustadt. Die Promenade mit Bäumen wurde allerdings erst später im Jahre 1788 angelegt. Die Südseite in Richtung Staatstheater sollte eigentlich offen gelassen werden, um einen schönen Ausblick auf Fuldatal, Planetarium und die Karlsaue zu bieten. Das Auetor wurde 1907 abgerissen und ein Neubau des Staatstheater wurde an der Stelle errichtet. Erst 1953 wurde das Theater wegen Kriegsbeschädigungen endgültig abgerissen. Jetzt war das Auetor wieder geöffnet. Sechs Jahre später entstand an der südöstlichen Ecke des Friedrichsplatzes das neue Theater, welches auf über 500 Jahre Geschichte zurückschaut und damit das traditionsreichste Staatsorchester in Deutschland besitzt. Durch die verbesserte Lage des neuen Theaters konnte das Auetor teilweise geöffnet bleiben. Die neue Position hatte leider Nachteile, denn die Rechtwinkligkeit des Platzes wurde gestört. In den 1950er Jahren sah die neue Verkehrsplanung vor, dass die Hauptverkehrsstraße den Friedrichsplatz schneidet. Leider entstehen dadurch auch optische Mängel, da der südöstliche dritte Teil des Platzes verkehrsmäßig abgeschnitten wurde. In den 1980er Jahren sollte das Auetor wieder verschwinden, um Platz für die documenta Ausstellungshalle zu schaffen. Die Architekten setzen sich über diese Vorgabe hinweg, sodass die documenta Halle sich tief in den Steilhang des Fuldatals eingräbt und kaum Sichtbehinderungen darstellte. Heute schützt das documenta-Kunstwerk Rahmenbau das Auetor vor weiteren Bebauungen.
Vor dir solltest du auch schon das prachtvolle und bekannte Museum Fridericianum bemerkt haben. Es wurde 1779 gegründet und ist seit 1988 eine internationale renommierte Kunsthalle. Gerade die linke Ansicht vom Friedrichsplatz aus zeigt die gelungene architektonische Symbiose zwischen dem palastartigem Gebäude des Fridericianum und dem Zwehrenturm.