Molekulare Chiralität

Was versteht man unter "Chiralität"?

Chiralität liegt vor, wenn man das Spiegelbild eines Objektes nicht durch Drehung mit dem Original zur Deckung bringen kann. In der Natur zeigt sich dies beispielsweise bei linker und rechter Hand oder bei links- und rechtsgewundenen Schneckenhäusern.
Auch Moleküle können chiral sein, wobei sich die Spiegelbilder (Enantiomere) mit Ausnahme der optischen Aktivität physikalisch identisch verhalten, jedoch chemisch sehr unterschiedlich reagieren können; ein bekanntes Beispiel hierfür ist Thalidomid (Markenname „Contergan“), s. Abb. 2.

Abb. 1: Chiralität in der Natur: Links- und rechtsgewundenes Schneckenhaus (University of Miami, Departement of Biology)

Paritätsverletzung bei chiralen Molekülen

Abb. 2: Die beiden spiegelbildlichen Formen der Substanz Thalidomid (Contergan)

Ursprünglich ging man davon aus, dass Enantiomere aus Symmetriegründen exakt gleiche Energien haben. Das zugrunde liegende Prinzip nennt man in der Physik "Paritätserhaltung": Ein physikalischer Prozess bleibt auch dann gleich, wenn die Paritätsoperation durchgeführt wird, d.h. der raumgespiegelte Prozess betrachtet wird. Das leuchtet der menschlichen Anschauung ein, da wir in unserer makroskopischen Welt nur direkt mit Naturkräften konfrontiert sind, für die die Paritätserhaltung gilt, wie Gravitation und Elektromagnetismus.

Erst als entdeckt wurde, dass die schwache Wechselwirkung - eine der vier Grundkräfte der Physik - die Parität verletzt, kam man in Folge auch zu der Erkenntnis, dass es zwischen den Spiegelbildern eines Moleküls einen kleinen Energieunterschied geben müsse. Neuesten theoretischen Modellen zufolge sollte dieser Energie - bzw. Frequenzunterschied in der Größenordnung von Millihertz liegen. Die Erfindung des Frequenzkamms - eines hochpräzisen Frequenzstandards - eröffnete um die Jahrtausendwende neue Möglichkeiten, Paritätsverletzungs-Effekte bei Molekülen experimentell nachzuweisen. In diesem Zusammenhang wurden verschiedene Experimente vorgeschlagen und bereits erste Machbarkeitsstudien durchgeführt. Eine Messung der molekularen Paritätsverletzung ist jedoch noch nicht gelungen und Gegenstand aktueller Forschung.
 

Projekt zum Thema Chiralität der Fachgruppe Laborastrophysik

Die Fachgruppe Laborastrophysik widmet sich unter anderem der Untersuchung der internen Dynamik chiraler Moleküle anhand hochpräziser Spektren im Infrarot- und Terahertz-Bereich. Bei den zur Zeit untersuchten Molekülen handelt es sich um die Chalkogen-Hydride HSSH, HSOH, HSSOH, HSSSH sowie Wasserstoffperoxid HOOH und ihre deuterierten Formen. Diese Verbindungen sind teilweise instabil und müssen während des Messprozesses stetig neu erzeugt werden, z.B. durch Gasentladungen, s. Abb. 3.

Eine Gasentladung in unseren Laboren, in der u.a. das Molekül HSOH produziert wird.

Mit ihrer kurzen, in sich verdrehten Kettenform zählen diese Moleküle zu den einfachsten Vertretern chiraler Moleküle, was den rechnerischen Aufwand für theoretische Vorhersagen minimiert. Laut neuester Erkenntnisse weisen sie zudem relativ große Paritätsverletzungs-Effekte auf. Darüberhinaus lässt sich an diesen Verbindungen die interne Dynamik molekularer Systeme hervorragend studieren, da die Enantiomere durch eine relativ niedrige Energiebarriere voneinander getrennt sind, und somit ihre interne Rotation leicht angeregt und sie ineinander umgewandelt werden können, s. Abb. 4. Dies alles macht sie zu idealen Studienobjekten für unsere Zwecke.


Uns interessieren vor allem folgende Fragestellungen:

  • Kann man rechts- und linkshändige Moleküle nur durch die Interaktion mit IR- und THz-Strahlung voneinander unterscheiden? (Chirale Detektion)
  • Ist es möglich durch monochromatische Strahlung ein Molekül gezielt in sein Spiegelbild umzuwandeln? (Chirales „Schalten“)
  • Ist die theoretisch vorhergesagte Paritätsverletzung in Molekülen mithilfe von Infrarot-Experimenten messbar?
Abb. 4: Das Doppelmulden-potential von HSOH; aufgetragen ist die Energie gegen den Winkel zwischen O-H- und O-S-Bindung. Das Potential weist zwei Minima auf, die jeweils den beiden chiralen Formen des Moleküls entsprechen. Die Energieniveaus der Torsionsbewegung (grün) treten aufgrund der Barriere bei 180° in Dubletten auf.