Welterkundung
Vitrine 13
Einführung
Die in den folgenden fünf Vitrinen gezeigten Aufbrüche – übertragener ebenso wie ganz buchstäblicher Art – erzählen keine chronologisch geordnete Geschichte des Fortschritts. Stattdessen laden sie ein, dem komplexen Verhältnis von Karten, dem „Neuen“ und „Unbekannten“ sowie Reisen nachzuspüren.
Lange Zeit galt die „Wiederentdeckung“ des Werks des antiken Geographen Claudios Ptolemaios als Wendepunkt in der Geschichte der Kartographie. Und tatsächlich erweiterte sich das Bild von der Welt, wie der Vergleich einer Weltkarte aus diesem Werk [54] und der Weltkarte im Portolan-Atlas des Battista Agnese [52] augenfällig zeigt.
Dem spätmittelalterlichen Leser war indes durchaus bewusst, dass Ptolemaios‘ Cosmographia nur den antiken Wissenstand bot. Zur Aktualisierung des Werkes wurden entsprechend sehr bald schon „moderne“ Karten, wie die Karte des Heiligen Landes, beigegeben, wie es in der frühen Ulmer Druckausgabe [51] der Fall ist. Diese Verbindung verschiedener Kartentypen in einem Werk wiederum beflügelte neue Kombinationen, wie die Einfügung der Heilig Land-Karte in den Portolan-Atlas des Battista Agnese [53].
Objekte
Vitrine 13, Objekt 51
[51] Johannes Reger: Ulmer Cosmographia
1486
Ulm
Karte des Heiligen Landes – fol. 160v-161r (Doppelseite)
Original: Glarus, Landesbibliothek Glarus, A D 1a
– Faksimile: Verlag Rothe Drucke, Bern 2007 – 2013
– Digitalisat des kolorierten Exemplars der Bayerischen Staatsbibliothek München
Vitrine 13, Objekt 52
[52] Battista Agnese: Portolan-Atlas (Toruń)
1546
Venedig
Weltkarte mit Route Magellans – fol. 13v-14r (Doppelseite)
Original: Toruń, Biblioteka Uniwersytecka Mikołaj Kopernik,
A-132-II
–Faksimile: Verlag Orbis Pictus, Wrocław 2013
Vitrine 13, Objekt 53
[53] Battista Agnese: Portolan-Atlas (St. Petersburg)
1546
Venedig
Karte des Heiligen Landes – fol. 15v-16r (Doppelseite)
Original: Sankt Petersburg, Russische Nationalbibliothek
– Faksimile: ADEVA, Graz 1993
Vitrine 13, Objekt 54
[54] Atlas des Borso d’Este (Cosmographia)
1466
Italien
Ptolemäische Weltkarte – fol. 75v-76r (Doppelseite)
Original: Modena, Biblioteca Estense Universitaria,
αlfa.x.1.3 = Lat. 463
– Faksimile: Il Bulino, Modena 2006
Vitrine 14
Einführung
Die Karten in dieser Vitrine zeugen, obwohl sie zu ganz unterschiedlichen Zeiten entstanden sind, allesamt vom Reiz des „Neuen“ – sei es neues Wissen oder neue Techniken, dieses zu visualisieren. So ist der kleinformatige Portolan-Atlas des Pietro Vesconte [58] einer der frühesten Vertreter des Verfahrens, mehrere Seekarten zu einem „Atlas“ zusammenfügen – und dies bereits mehr als 200 Jahre vor der Entwicklung des modernen Atlas. Die große Zahl der erhaltenen Portolan-Atlanten zeugt vom langfristigen Erfolg des Modells, das in der Folge auch um die neuen Entdeckungen erweitert wurde.
Neben der Aufteilung der Welt in mehrere Einzelkarten zeugen große Weltkarten im Stil der Seekarten davon, dass Kartenmacher dieser Zeit Wege suchten, die „Neue Welt“ darzustellen. Eine innovative Strategie ist auf dieser Karte von 1519 [55] zu sehen: Die Welt wurde aufgeteilt und die „Neue Welt“ auf der Vorderseite, die „Alte Welt“ (hier nicht zu sehen) auf der Rückseite der Karte platziert.
Doch nicht nur neu Entdecktes in der Ferne, auch aktuellere oder schlicht unterhaltsamere Beschreibungen des Bekannten zogen mittelalterliche und frühneuzeitliche Leser in den Bann: Das Inselbuch Cristoforo Buondelmontis wurde ein Bestseller und reflektiert, etwa in der Karte Konstantinopels [56], den Umgang mit politischen Veränderungen im Mittelmeerraum.
Objekte
Vitrine 14, Objekt 55
[55] Atlas Miller
1519
Portugal
Nordatlantik – fol. 6r (Doppelseite)
Original: Paris, Bibliothèque Nationale, GE AA-640 (RES)
– Faksimile: M. Moleiro, Barcelona 2003 – 2006
Vitrine 14, Objekt 56
[56] Buch der Inseln des Archipels
2. Hälfte 15. Jahrhundert
Italien
Konstantinopel – fol. 54r (rechte Seite)
Original: Düsseldorf, Universitäts- und Landesbibliothek,
Ms. G 13
– Faksimile: Reichert Verlag, Wiesbaden 2005
Vitrine 14, Objekt 57
[57] Tabula Peutingeriana
12./13. Jahrhundert
Kloster Reichenau
Karte des antiken römischen Straßennetzes
Original: Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod.
Vindob. 324
– Faksimile: Leo S. Olschki Editore, Florenz 2003
Vitrine 14, Objekt 58
[58] Pietro Vesconte: Portolan-Atlas
1. Hälfte 13. Jahrhundert
Venedig
Adriatisches Meer – fol. 10v – 11r (Doppelseite)
Original: Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 594
– Faksimile: ADEVA, Graz 2022
– Digitalisat einzelner Karten der Österreichischen Nationalbibliothek
Vitrine 15
Einführung
Die Bedeutung von historischen Karten liegt, wie die Objekte in dieser Vitrine zeigen, jedoch nicht immer nur in dem von ihnen verarbeiteten neuen Wissen begründet. Die Kartenmacher der prachtvollen Estense-Weltkarte [59] zogen es vor, zur Darstellung der gesamten, zur Zeit ihrer Entstehung bekannten Welt, auf das bewährte Modell der mittelalterlichen Radkarte zurückzugreifen. Nur punktuell griffen sie auf die neuere, exaktere Darstellung von Küstenverläufen zurück und banden sie in ihr Kartenbild ein.
Solche Rückgriffe auf Vorgänger und Bewährtes erwiesen sich im Falle der Tabula Peutingeriana [57] als ein Glücksfall: Diese im 12./13. Jahrhundert von einer antiken Vorlage kopierte Karte enthält vermutlich keinerlei Neuerungen oder zeitgenössische Aktualisierung. Weil sie jedoch das einzige erhaltene Zeugnis solcher antiken römischen Straßenkarten darstellt, ist ihr kulturgeschichtlicher Wert nicht zu bestreiten. Anders als es für mittelalterliche Karten üblich ist, können wir anhand der originellen Verzeichnung nicht nur des Straßennetzes, sondern auch von Unterkünften davon ausgehen, dass sie für die Vorbereitung von Reisen erstellt wurde.
Objekte
Vitrine 15, Objekt 59
[59] Estense - Weltkarte
um 1450
Vermutlich Mallorca
Von Portolankarten beeinflusste Radkarte
Original: Modena, Biblioteca Estense Universitaria, C.G.A.1.
– Faksimile: M. Moleiro, Barcelona 1996
Vitrine 16
Einführung
Die nach ihrem Entstehungsort, dem Kloster Ebstorf, benannte Ebstorfer Weltkarte [60] ist ein weiteres Beispiel dafür, dass Bedeutung und Berühmtheit historischer Karten nicht zwangsläufig nur aus dem Charakter des Neuen erwuchsen. Denn bei ihr handelt es sich keineswegs um die früheste mittelalterliche Radkarte, doch ihre Größe und prachtvolle Gestaltung machen sie international bekannt. Auch ihre Entstehung in einem Frauenkloster lässt sie hervorstechen. Regional bedeutsam ist sie schließlich durch die Verortung von „Cassela“ – unserer Stadt Kassel!
Der in dieser Vitrine fassbar werdende Kontrast zwischen der typisch mittelalterlichen Darstellung Asiens auf der Ebstorfer Weltkarte [60] und der Karte des Chinesischen Reiches [61] verdeutlicht den Wissenszuwachs innerhalb von rund 350 Jahren: Zahlreiche Reisen und die aus ihnen hervorgehenden Berichte erweiterten nach und nach das Wissen über diesen Erdteil. Auch der Atlas Sinensis des Niederländers Jean Blaeu, aus dem die Karte des Chinesischen Reiches [61] stammt, geht auf einen solchen Reisebericht zurück und blieb bis weit ins 18. Jahrhundert das Standardwerk über China.
Objekte
Vitrine 16, Objekt 60
[60] Ebstorfer Weltkarte
um 1300
Kloster Ebstorf
Radkarte mit Jerusalem als Mittelpunkt
Original: Hannover, Landesarchiv (1934 zerstört)
– Faksimile: wbg, Darmstadt 2020
Vitrine 16, Objekt 61
[61] Novus Atlas Sinensis 1655
1655
Amsterdam
Chinesisches Reich – dem Text vorgelagert
Original: Wolfenbüttel, Herzog-August-Bibliothek, 1.2.2 Geographica 2°
– Faksimile: Verlag Müller und Schindler, Stuttgart 1973
Vitrine 17
Einführung
Die Faksimiles dieser Vitrine vereint die Frage, wie die „Fremde“ und der Aufbruch dorthin auf Karten und in Büchern visualisiert wurden. So liegt der Fokus dieser Karte [64] auf der „Neuen Welt“ mit den dort imaginierten Bewohnern, der Flora und der Fauna. Die farbenfrohe und kostbare Ausgestaltung zieht den Blick des Betrachters auf sich und ermöglicht eine imaginäre Reise dorthin.
Aufgrund des Stils der Buchmalerei vertrauter dürfte dem mittelalterlichen Leser dagegen diese Darstellung der Stadt Buchara und ihrer Bewohner im Buch der Wunder [65] erschienen sein. Dies schmälerte den Eindruck der Fremdartigkeit im Reisebericht jedoch nicht. So lud Marco Polo, ebenso wie der Autor dieser Kreuzzugschronik [63], seine Leser ein, die Gefahren, Abenteuer und Erfolge in der Fremde mitzuerleben.
Ein solcher Aufbruch in die Fremde findet sich auch im Codex Azcatitlan visualisiert – hier jedoch in einer uns weniger gewohnten Perspektive. Diese in Mexiko entstandene Handschrift behandelt die Geschichte der Azteken bis zur Ankunft der Europäer. Aufgeschlagen ist der in der mythischen Vergangenheit liegende Aufbruch aus der Heimat Aztlán [62], wobei die Geschehnisse auf der Reise in sorgfältig ausgeführten Piktogrammen dargestellt werden.
Objekte
Vitrine 17, Objekt 62
[62] Codex Azcatitlan
Um 1600
Mexiko
Aufbruch aus Aztlán – fol. 1v-2r (Doppelseite)
Original: Paris, Bibliothèque Nationale, Mexicain 59-64 (Seitenzählung abweichend)
– Faksimile: Bibliothèque Nationale de France, Paris 1995
Vitrine 17, Objekt 63
[63] Chronik der Kreuzfahrer
1455
Flandern
Einschiffung der Kreuzfahrer 1096 – fol. 3r (unten)
Original: Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 2533
– Faksimile: IDION-Verlag, München 1980
– Digitalisate einzelner Seiten der Österreichischen Nationalbibliothek
Vitrine 17, Objekt 64
[64] Atlas Miller
1519
Portugal
Südwestatlantik mit Brasilien – fol. 5r (Doppelseite)
Original: Paris, Bibliothèque Nationale, GE DD-683 (5 RES)
– Faksimile: M. Moleiro, Barcelona 2003 – 2006
Vitrine 17, Objekt 65
[65] Marco Polo: Das Buch der Wunder
1410 - 1412
Paris
Ankunft in Buchara – fol. 2r (rechte Seite)
Original: Paris, Bibliothèque Nationale, Ms. Français 2810
– Faksimile: Faksimile-Verlag, Luzern 1995