Melsungen: Kasseler Gasse

Melsungen: Kasseler Gasse

Besonders intensiv hat sich Landgraf Moritz in mehreren Zeichnungen mit der städtebaulichen Situation am Kasseler Tor und der anschließenden Kasseler Gasse, die als Hauptverkehrsstraße entlang des Marstalls in die Stadt führt, auseinander gesetzt,[329] wobei ihn unterschiedliche Projekte beschäftigten. Mehrere Varianten zeigen ein erhöhtes bzw. gänzlich neu gestaltetes Stadttor. Die dem Marstall gegenüberliegende städtische Bebauung ist in der Regel im Plan mit Angabe der Bewohner/Besitzer aufgenommen und wird schließlich in diversen Entwürfen teilweise durch die „Neue Kanzlei“ ersetzt. Bereits 1612 findet sich in den Akten der Hinweis auf das noch verschobene Vorhaben des Baus einer Neuen Kanzlei,[330] deren Errichtung den Landgrafen offensichtlich auch noch später im Zusammenhang mit der Wahl Melsungens als Alterswohnsitz zu Entwürfen anregte. Überraschenderweise beschäftigte ihn das Thema noch einmal im Herbst 1630 in mehreren Zeichnungen.

 

2° Ms. Hass. 107 [342] verso, oben

Marstallhof und Kasseler Gasse

In dieser kleinen, im unteren Teil leider beschädigten Ansicht auf einem Blatt mit Ansichten von Mittelhof, Fahre und Weißenstein erscheint das Schloss nur angeschnitten im Hintergrund, da der Schwerpunkt der Darstellung auf dem Stallhof zwischen „Riedesels hoff“ und „Cassel gasse“  liegt. Die in 2° Ms. Hass. 107 [259] verso summarisch skizzierten Bürgerhäuser sind in diesem Fall im Grundriss gezeigt, wobei die Namen der Besitzer eingetragen sind.

Das Kasseler Tor an der vorderen Ecke des Schlosshofs erscheint hier als längsrechteckiger Bau mit geschweiftem Stirngiebel. Der Landgraf bevorzugte offensichtlich eine Gestaltung mit geschweiften Stirngiebeln, während es sich höchstwahrscheinlich realiter um einen kleinen rechteckigen Turm mit Walmdach handelte, wie etwa Dilichs Landtafel von 1615 belegt.[331]

Die auf dem später angeklebten, unteren Blattteil angegebene Nummer „52.“ bezieht sich auf das Übergabeverzeichnis von 1786 2° Ms. Hass. 107a.

 

2° Ms. Hass. 107 [243]

Vorhof des Schlosses mit Kasseler Gasse, Lageplan

Der sorgfältig mit Zirkel und Lineal angefertigte Plan gibt die Situation an der Kasseler Gasse mitsamt dem Stadttor und den angrenzenden Gebäuden einschließlich des Marstallhofes wieder. Wie in 2° Ms. Hass. 107 [342] verso, obensind die Bürgerhäuser mit den Namen ihrer Bewohner gekennzeichnet, wobei u.a. Förster „ötzel“ (auch Oetzel) und Rentmeister „lautze“ (Johann Lauze) archivalisch in Melsungen tatsächlich nachgewiesen werden können.[332] Die detaillierte Schilderung der Raumaufteilung in den fürstlichen Gebäuden neben dem Stadttor lässt  vermuten, dass Landgraf Moritz auch in diesem Bereich über Umnutzungen/Erweiterungen nachdachte.

 

2° Ms. Hass. 107 [242] recto, rechts

Kasseler Gasse und Kasseler Tor, dazu zwei Details des Schloßturms

Ähnlich wie in 2° Ms. Hass. 107 [342] verso, oben zeigt Landgraf Moritz hier die städtebauliche Situation am Kasseler Tor, wo dem Marstall Bürgerhäuser gegenüberliegen, die auch hier summarisch im Plan angegeben sind. Das Torgebäude besitzt ein Satteldach mit Stirngiebel, allerdings in diesem Fall traufseitig zur Straße gestellt, - eine weitere Gestaltungsvariante. Zwischen dem Tor und dem Landsknechthaus liegt ein unbebautes Grundstück, das in anderen Zeichnungen durch einen Neubau ersetzt wird (vgl. 2° Ms. Hass. 107 [200] verso, unten + [313] recto, links).

Die beiden Detailzeichnungen am unteren Blattrand beschäftigen sich mit dem Rundturm an der nordöstlichen Ecke der Schlossmauer, der u.a. auch in 2° Ms. Hass. 107 [230] recto, oben dargestellt ist. Ebenso wie der Turm an der gegenüberliegenden Seite des Hinterhofs sollte dieser offensichtlich auch zu Wohnzwecken genutzt werden.

 

2° Ms. Hass. 107 [234] verso, unten

Kasseler Gasse, Lageplan

Der kleine Lageplan der Kasseler Gasse mit den angrenzenden Bürgerhäusern gibt in ähnlicher Form wie 2° Ms. Hass. 107 [243] recto, rechtsdie Situation an Kasseler Gasse und Kasseler Tor wieder. Besonderes Augenmerk legte Landgraf Moritz auf den Verlauf der Abwasserkanäle, deren Regulierung ihm in Melsungen sehr am Herzen lag.[333]

 

2° Ms. Hass. 107 [200] verso, unten

Kasseler Tor und Kasseler Gasse

Die kleine Skizze auf der Rückseite einer Ansicht des Kasseler Landgrafenschlosses beschäftigt sich mit der Umgebung des Kasseler Tores am Schlosshof in Melsungen. Ähnlich wie in den anderen Vogelschauansichten (vgl. 2° Ms. Hass. 107 [242] recto, rechts)sind die  Bürgerhäuser an der Kasseler Strasse und an der Mühlengasse im Plan angegeben, wobei die Besitzer bzw. Bewohner namentlich aufgeführt sind.

Auffällig ist die Erhöhung des Stadttores um ein Geschoss, wodurch es das neu konzipierte Gebäude,  - möglicherweise ein erster Entwurf für die geplante Kanzlei an der Stelle des freien Geländes und des Landsknechthauses - deutlich überragt. Dieses zweigeschossige Gebäude mit zwei Zwerchgiebeln lehnt sich mit seinen Doppelbahnenfenstern und dem übergiebelten Portal formal an die Gestaltung der Schlossgebäude an und hebt sich von den anschließenden Fachwerkgebäuden repräsentativ ab. Die angrenzende „Badestube“ an der Stadtmauer wurde erst 1963 abgerissen.[334]

 

2° Ms. Hass. 107 [233] verso, unten rechts

Kasseler Gasse mit Entwurf für eine Kanzlei

Auf einem Blatt mit mehreren Zeichnungen von Melsungen befindet sich diese Ansicht der Kasseler Gasse, gesehen vom Marstall im Vordergrund her.  Die Häuserfront auf der gegenüberliegenden Seite ist beschriftet "die erkaufte hause zur Cantzley und ander hoffsach[en] erbauen" und zeigt einen Entwurf zum Umbau zweier Bürgerhäuser für die Zwecke der Hofverwaltung. Landgraf Moritz konzipiert an dieser Stelle ein dreigeschossiges, vierachsiges Gebäude mit zentralem zweiachsigem Zwerchgiebel und Doppelbahnenfenstern. Wie weitere Beispiele zeigen (vgl. 2° Ms. Hass. 107 [240] recto, oben links) stellte der Fürst intensive Überlegungen an, an dieser Stelle eine Kanzlei zu errichten.

 

2° Ms. Hass. 107 [236]

Landgrafenschloss und Kasseler Tor

Die aus der gleichen Perspektive wie 2° Ms. Hass. 107 [230] recto + [233] recto, untengesehene anschauliche Vogelschauansicht enthält im Schlosshof die Bezeichnung: "Milsung[en] wie es mit einem / newen Thor und newem vorgebeu / in der Cassel gassen / zu zu richten." Der Fokus liegt also auch hier auf einer Veränderung des übereinstimmend mit den anderen Zeichnungen geschilderten Bestandes, in diesem Fall sowohl das Torgebäude und einen Neubau an der Kasseler Gasse im Bereich der Bürgerhäuser betreffend. Das vom Landgrafen mehrfach in unterschiedlichen Varianten wiedergegebene Torhaus erscheint um ein Geschoß aufgestockt und mit einem Satteldach versehen. Ebenso schlicht ist der traufständige Neubau an der Kasseler Gasse gestaltet, der in anderen Darstellungen als Kanzlei bezeichnet wird (vgl. 2° Ms. Hass. 107 [238] recto, unten).

 

2° Ms. Hass. 107 [240] recto, oben links

Entwurf für eine neue Kanzlei am Kasseler Tor

Ähnlich wie 2° Ms. Hass. 107 [236] zeigt auch diese kleine Ansicht den "Neuw vorhof zwischen dem / Marstall, und neuen Cantzley baw / zu Milsung[en] den 1. Aug: / inventirt zur Carthause M.H.L." Ergänzend ist hier im Vordergrund eine Mauer eingefügt, die am Kasseler Tor einen eigenen Hof zwischen dem Marstall und dem Neubau ausgrenzt und diesen damit dem Schlossbezirk anfügt. Das Kanzleigebäude zeigt sich als langgestreckter (ebenso wie am Marstall sind hier 120 Fuß eingetragen), zweigeschossiger Bau, der sehr dicht an das Kasseler Tor heranrückt.

 

2° Ms. Hass. 107 [240] recto, mittig links

Entwurf für eine neue Kanzlei an der Kasseler Gasse

Unterhalb der kleinen Darstellung der neuen Kanzlei hat Landgraf Moritz auf demselben Blatt noch eine weitere Ansicht der baulichen Situation am Kasseler Tor im Blick von der Gegenseite eingefügt, wobei er hier die Kanzlei als schlichten Bau mit zentralem Eingang und Zwerchgiebel konzipiert.

 

2° Ms. Hass. 107 [119] recto, unten

Entwurf für eine neue Kanzlei am Schloss, Grundriss

Auf einem Blatt mit einem auf den 20(?). September 1630 datierten Entwurf für das Lustschloß Fahre hat Landgraf Moritz im unteren Drittel einen detaillierten Grundriss der Bebauung am Kasseler Tor eingefügt, wobei er auch hier eine „Neue Cantzley“ an der Stelle der Bürgerhäuser konzipiert. Gebäude und Hof überdecken den Bereich bis zu Haus und Garten der Witwe Lautze, deren Besitz ebenso in den anderen Zeichnungen eingetragen ist. Das langgestreckte Amtsgebäude, das wie in 2° Ms. Hass. 107 [240] recto, oben links über zwei Eingänge verfügt, besitzt eine zentrales „Vorgemach“, von dem aus die Amtsstuben („Cantzley“ links, „Repositur“ und „Rendtcammer“ rechts) und die rückseitigen Wohnräume zugänglich sind.

Übereinstimmend mit  der Vogelschauansicht des Schlosses 2° Ms. Hass. 107 [234] verso, oben wird der Schlosshof zur "Strasse nach Rörenfurdt" durch eine „galerie“ abgeschlossen.

 

2° Ms. Hass. 107 [238] recto, unten

Kasseler Gasse mit Entwurf für eine neue Kanzlei, 1630

Der auf den 26. September 1630 datierte Entwurf für die "New Cantzley" positioniert den Neubau in unmittelbarem Anschluss an das Stadttor, wobei die vorgelegten Arkaden eine Durchfahrt in die Mühlengasse frei lassen. Der gegenüberliegende Marstallhof ist im Grundriss mit Einzeichnung der Pferdeboxen für insgesamt 62 Pferde wiedergegeben. Sehr präzise sind die Besitzer der Bürgerhäuser in den im Plan angegebenen Häusern im  weiteren Verlauf der Kasseler Gasse notiert, neben den schon erwähnten Namen Lautze und Oetzel (vgl. 2° Ms. Hass. 107 [243] recto)erscheinen hier noch „Rendtmeister Maroldt“[335] und „Thölde“ (Otto Thölde war Hüttenvogt der Eisenschmiedemühle Schmidtfarth a.d. Pfieffe), sowie rechts am Bildrand noch die Apotheke mit dem Laboratorium. Bei diesem Laboratorium handelt es sich wahrscheinlich um das in  2° Ms. Hass. 107 [257] dargestellte „destillatorium“[336].  Auch in den Bauanweisungen von 1627 (2° Ms. Hass. 107 [265]) wird ein Laboratorium erwähnt.

 

2° Ms. Hass. 107 [238] recto, oben links

Kasseler Gasse mit Entwurf für eine neue Kanzlei

Ebenso wie auf der anderen Darstellung der neuen Kanzlei auf demselben Blatt gibt Landgraf Moritz auch in dieser geradezu miniaturhaft winzigen Zeichnung einen Entwurf für die Neue Kanzlei gegenüber dem Marstall mit einer Galerie im Erdgeschoss. Dabei konzentriert sich die Vogelschau auf den Raum zwischen den beiden Gebäuden und den Eingang in den Schlosshof, dessen Hauptbau im Hintergrund nur angedeutet ist. Schraffuren deuten den Schattenwurf in diesem Bereich an und geben der Darstellung Plastizität.

 

2° Ms. Hass. 107 [239] recto, links

Landgrafenschloss mit Entwurf für eine Kanzlei von Südosten

Als Gegenstück zu der Darstellung auf der rechten Blatthälfte, die eine Vogelschau des Schlosshofes von Norden präsentiert,zeigt diese Zeichnung ebenso wie 2° Ms. Hass. 107 [238] recto, oben linksdie Situation am Kasseler Tor in der Vogelschau von Südosten. Im Focus steht wieder der neu konzipierte Kanzleibau mit einer offenen Galerie im Erdgeschoß, der an den zweigeschossigen Stadtturm anschließt. Unklar ist die Situation hinter dem Stadttor, wo augenscheinlich wie in 2° Ms. Hass. 107 [234] verso, oben ein Galerieflügel anschließt, der durch einen überbauten Torbogen mit dem Schloss verbunden ist.

 

2° Ms. Hass. 107 [219] recto, unten rechts

Schlosshof und Kasseler Gasse mit Entwurf für eine neue Kanzlei, 1630

Die auf den 3.10.1630 datierte Vogelschauansicht gibt einen weiträumigen Überblick über die bauliche Situation im Bereich von Schlosshof und Marstallhof samt der umgebenden Bebauung von der Kasseler Gasse bis zum Riedeselschen Vogtei neben dem hinter dem Schloss gelegenen Lustgarten. Während die Bebauung im Vordergrund (Burggrafenhaus, „Riede­se­ler hoff“, Marstallhof) weitgehend den vorhandenen Bestand wiedergibt, handelt es sich bei den beiden als neu bezeichneten Gebäuden im Hintergrund um Entwürfe, die das Projekt eines Galerieflügels am Schloss (vgl. 2° Ms. Hass. 107 [234] verso, oben) und einer Neuen Kanzlei direkt verknüpfen. Dabei  entfällt der alte Stadtturm gänzlich und die Kasseler Strasse wird über eine Durchfahrt in der Kanzlei vor die Stadtmauer geleitet.

 

2° Ms. Hass. 107 [313] recto, links

Kasseler Straße mit Entwurf für eine Kanzlei

Auf diesem mit der Nummer „34.“ (Übergabeverzeichnis von 1786, 2° Ms. Hass. 107a) gekennzeichneten Doppelfolioblatt befindet sich neben einer in den Oktober 1630 datierten Zeichnung von Sontra eine weiträumige Vogelschauansicht der nördlichen Altstadt rund um den „Stallhof“, wobei hier die westliche Seite bis zur „Cassel gasse“ im Grundriss bzw. Plan, die östlich anschließenden Häuser aber in perspektivischer Ansicht wiedergegeben sind.

Akribisch sind die Namen der Bewohner/Besitzer aufgezeichnet. Ganz im Vordergrund an der Stadtmauer mit drei recht korrekt eingezeichneten Schalentürmen befindet sich der „Berlebsche garten“ an der „stroh gasse“. Links davon liegen die Riedeselschen Besitzungen. Dem Stallhof gegenüber erstreckt sich ein geschlossener Komplex von Häusern, die wie in den anderen Zeichnungen mit der Berufsbezeichnung ihres Besitzers, z.B. „metzger“, „schuster“ oder „zimmermann" gekennzeichnet sind. Die Straßenzeile an der „Cassel gasse“ im Hintergrund wird in diesem Fall direkt an der Stadtmauer mit einer „Neue Cantzley“ ergänzt, wobei das dort befindliche Stadttor wegfallen sollte. Um den Stadtausgang und den Zugang zur „Mühlengasse“ zu gewährleisten, musste Landgraf Moritz aber eine große Tordurchfahrt  einplanen, wobei – ähnlich wie in 2° Ms. Hass. 107 [219] recto, unten rechts - nicht ganz klar wird, wie er sich die Torsituation an dem Neubau in der Mühlengasse konkret vorstellte.

Wie in vielen anderen der Melsunger Zeichnungen sind auch hier wieder die auf den Strassen verlaufenden Gossen eingezeichnet, ein Detail, dem Landgraf Moritz immer wieder große Aufmerksamkeit schenkte, da ihm die Reinhaltung der öffentlichen Strassen am Herzen lag.

Fußnoten

 


[329] vgl. Helm 1967, S. 17 ff.

[330] HStAM, Best. 53e Pak. 61, Bauanschläge von 1612

[331]2° Ms. Hass. 679, Taf. 6, vgl. Wolf 2003, S. 68

[332] vgl. Helm 1967, S. 18

[333] vgl. Helm 1967, S. 24

[334] Schmidt 1978, S. 60

[335] erwähnt in: HStAM Best. 4h 523

[336] vgl. Helm 1967, S. 18