06.11.2024 | Porträts und Geschichten

Origami und andere Formen der Mathematik

Wie Basteleien und Denkspiele in der Lehre helfen

Mathe heißt vor allem: Rechnen? Für Torsten Mütze, Professor für Diskrete Mathematik, ist das einer der Irrtümer, mit denen Abiturientinnen und Abiturienten an die Uni kommen. „Mathematik zu studieren, das heißt vor allem zu argumentieren und Strukturen zu verstehen.“ Zwei anschauliche Hilfsmittel können gerade Erstsemestern diese Erkenntnis leicht verdaulich vermitteln: Origami und Denkspiele. Mütze setzt sie gerne ein.

Bild: Sebastian Mense

Die Diskrete Mathematik beschäftigt sich, salopp ausgedrückt, mit dem, was sich in Einsen und Nullen ausdrücken lässt – im Unterschied etwa zur kontinuierlichen Mathematik, die man, um ein einfaches Beispiel zu geben, heranzieht, um Temperaturen anzugeben: Hier liegt zwischen 14 und 15 Grad Celsius ein unendlicher Raum an Werten. Wer bei Einsen und Nullen an Informatik denkt, liegt nicht falsch. „Die Disziplinen sind eng verwoben“, sagt Mütze. Er hat selber Informatik studiert. An manchen Universitäten ist die Diskrete Mathematik der Informatik zugeordnet.

Nicht so in Kassel. Seit März ist Mütze Professor am Fachbereich Mathematik und Naturwissenschaften in Oberzwehren. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) fördert ihn mit einer sogenannten Heisenberg-Professur für herausragende Nachwuchskräfte. Bevor er nach Kassel kam, war Mütze Assistenzprofessor an der University of Warwick in England.

Bei der Beschäftigung mit Denkspielen verbindet er eine private Neugier mit einem beruflichen Interesse. Die bekannteste der Knobeleien, Rubiks Zauberwürfel, war in den 80er Jahren auf jedem Schulhof zu finden. Das Interessante aus der Perspektive der Diskreten Mathematik ist, dass sich jede mögliche Stellung des Zauberwürfels als Knotenpunkt in einem Netz denken lässt. Und der Weg zu einem beliebigen anderen Zustand – beispielsweise dem Ziel: alle Farben sind sortiert – als Graph beschreibbar ist. Wer Graphen versteht, der kann auch Algorithmen aufstellen und ist nah dran, die Lösung für den Zauberwürfel zu finden. Von jedem Ausgangszustand des Würfels bis zum farblich sortierten Idealzustand sind es übrigens immer höchstens 20 Züge, wie Mathematiker mit Computerunterstützung herausgefunden haben. Zwei andere Knobelspiele, bei denen sich eine Beschreibung durch Graphen anbietet, sind „Klotski“ und „Die Türme von Hanoi“ (siehe unten).

Die Türme von Hanoi

Auf einem von drei Stäben stecken Scheiben in abnehmender Größe. Ziel ist es, alle Scheiben auf den rechten Stab zu versetzen. Es darf jedoch immer nur eine Scheibe umgesteckt werden, und die bewegte Scheibe muss auf einer größeren Scheibe abgelegt werden. Das Spiel wurde im 19. Jahrhundert vom französischen Mathema-tiker Édouard Lucas erfunden. Das Spiel gilt in der Informatik als Standardbeispiel für rekursive Programmierung. Die Zahl der mindestens notwendigen Züge steigt exponentiell mit der Zahl der Scheiben.

Die Türme von Hanoi: Zur Lösung

Klotski

Auf einem Spielbrett der Größe 4 x 5 liegen ein 2 x 2-Spielstein, vier 1 x 1-Steine und fünf 1 x 2-Steine. Der große Spielstein (hier rot) muss auf die untere Position geschoben werden. Dabei darf kein Stein einen anderen überspringen oder das Spielfeld verlassen. Die kürzeste Lösung hat 81 Züge, wenn jede beliebige Verschiebung eines Steins als ein Zug gilt.

Klotski: Zur Lösung

Mütze bringt diese Spiele ebenso wie die kunstvollen Origami-Objekte hin und wieder in den Hörsaal mit, um Sachverhalte zu veranschaulichen. „Es gibt beim Origami das Theorem, dass sich jede Figur mit geraden Kanten falten lässt, ohne je eine Schere zu benutzen“, erklärt er. Auch wenn man dafür vernachlässigen muss, dass im echten Leben das Papier irgendwann zu dick wird – so etwas lässt sich ebenfalls wunderbar als Graph beschreiben. Ganz nebenbei lernen die Studierenden dadurch „Platonische Körper“ (symmetrische 3-dimensionale Polyeder) und andere Figuren kennen. Mütze: „Etliche der Studenten wollen Lehrer oder Lehrerin werden. Auch für ihren späteren Unterricht erhalten sie dadurch Anregungen.“

 

Dieser Beitrag erschien im Universitäts-Magazin publik 2024/3. Text und Foto: Sebastian Mense