Jörg Kammler (†), ein Kasseler Politikwissenschaftler der ersten Stunde
Kammler gehörte zur zweiten Generation der in Deutschland nach 1945 neu aufgebauten Wissenschaftsdisziplin. Er vertrat sie in der Nachfolge der von Wolfgang Abendroth in Marburg konzipierten Auffassung als Demokratiewissenschaft. Er war dort 1965 bis 1967 als Assistent tätig und promovierte mit einer Arbeit über den jungen sozialistischen Theoretiker Georg Lukács. Er war maßgeblich beteiligt am Zustandekommen der Marburger "Einführung in die Politische Wissenschaft" (6. Auflage 1982), die damals zu den seltenen Versuchen einer Grundlegung der Politikwissenschaft zählte. Er gab mit Frank Benseler die fünfbändige Ausgabe der "Poltischen Schriften" von Georg Lukács heraus.
Ein lebenslang zwingendes Motiv für die kritische Befassung mit der deutschen Zeitgeschichte und mit dem Denken und Handeln ihrer Akteure war für Jörg Kammler die schuldhaft exponierte Funktion seines Vaters im "Dritten Reich" ("General der Waffen-SS" und "Leiter des SS-Bauwesens"). In diesem Zusammenhang sind seine Arbeiten zum Nationalsozialismus in der Kasseler Stadtgeschichte und zum Widerstand gegen das NS-Regime entstanden. Sie sind nicht zuletzt Dokumente eines beharrlichen Bemühens um die Ermittlung der Ursache politischer Menschenverachtung und um die Erkundung von Strategien zu ihrer Bekämpfung.
Text: Hans-Manfred Bock