Fit wie Herkules
Auf dem Pausenhof der Schule Am Lindenberg herrscht schon um Viertel vor 3 große Aufregung. Knapp ein Dutzend Kinder rennen in großem Gewusel durcheinander, rufen sich zu „Fit wie Herkules geht gleich los!“ – „Fit wie Herkules, komm mit!“ und stürmen dann gemeinsam Richtung Wiese. Um 15 Uhr soll die Stunde beginnen, die Übungsleiterin und Kasseler Studentin Hanna Pohlmann heute anleitet. Als sie um die Ecke biegt, wird sie von einer aufmerksamen Drittklässlerin sofort erspäht: „Da kommt Hanna! Jetzt gibt es Fit wie Herkules!“ Vorfreude liegt spürbar in der Luft. Schnell hat sich um die Übungsleiterin eine Gruppe von etwa 15 Kindern gebildet, die heute alle rennen, lachen und herumturnen werden. Die meisten von ihnen sind in der dritten, manche aber auch erst in der zweiten Klasse. Das Projekt „Fit wie Herkules“ ist ein neues Sportangebot an der Schule; die Teilnahme ist freiwillig, nach der Anmeldung aber verbindlich. „Wir sind hier in einem Stadtteil mit wenig Sportangeboten und Sportvereinen, es ist also schwer, Übungsleiterinnen und Übungsleiter zu bekommen“, erklärt die Sozialpädagogin Kerstin Dada. „Deswegen freuen wir uns wirklich sehr, dieses neue Projekt an unserer Schule zu haben. Der Fokus auf das gemeinsame Spielen ist total wichtig für den Zusammenhalt der Kinder.“
Aber nochmal einen Schritt zurück, worum geht es? „Fit wie Herkules“ ist ein kostenloses Bewegungsangebot für Grundschulkinder und richtet sich speziell an Kinder in der dritten Klasse. SeinZiel:dieFörderungvonFreude an Bewegung, Selbstvertrauen und Selbstwirksamkeit. Das dieses Jahr gestarteteProjektfindetunterder Feder führung des Sportamtes der Stadt Kassel statt, in enger Zusammenarbeit mit den Sport vereinen der verschiedenen Kasseler Stadtteile. Aktuell (Stand: November) nehmen daran 13 Grundschulen und Horte teil, etwa 20 sollen es bis zum nächsten Schuljahr werden.
Am Sportinstitut der Universität Kassel wird das Projekt wissenschaftlich begleitet. Die empirische Forschung führt Studentin Alicia Koch durch; es ist ihr erstes eigenverantwortliches Projekt, betreut und unterstützt wird sie von der task-Koordinatorin Dr. Julia Limmeroth.
Alicia Koch studiert Gymnasiallehramt mit den Fächern Mathe, Physik und Sport und macht zusätzlich einen Master in Empirischer Bildungsforschung. Seit 2019 arbeitet sie nebenbei als Vertretungslehrerin an einem Kasseler Gymnasium und seit diesem Sommer forscht sie zu „Fit wie Herkules“ – denn das Projekt bietet ihr die perfekte Möglichkeit, ihre Studienfächer zu verbinden. „Es ist erschreckend, wie viele motorische Fähigkeiten bei Kindern fehlen“, sagt sie und erzählt von Beispielen, die sie selbst beobachtet hat: Schwierigkeiten beim Rückwärtslaufen oder dabei, Bälle zu passen und auf ein Tor zu schießen, weil die nötigen Gelenkbewegungen nicht bekannt sind.„Ich finde es total wichtig, hier einen Zugang zu schaffen, der weder Geld, noch einen weiten Weg oder eine besondere Ausstattung voraussetzt.“ Das Ziel ihrer Forschung ist es, zu überprüfen, ob das Projekt seinen Zweck erfüllt. Daher liegt der Fokus der Studie darauf, die Veränderung der Bewegungszeit der Kinder (über die Stunde an der Schule hinaus) festzustellen und zu sehen, ob am Ende des Projekts mehr Kinder bei Sportvereinen im jeweiligen Ortsteil angemeldet sind. Letzteres sei nämlich ein wichtiges Zeichen, dass eine langfristige und weiterführende sportliche Betätigung bei den Kindern gesichert ist.
Um das herauszufinden, wird sie die teilnehmenden Kinder einen Fragebogen ausfüllen lassen, den sie zurzeit entwickelt. Im Frühjahr und Sommer 2024 wird sie diesen mit den aktuellen Drittklässlern als Probedurchlauf durchführen und die Evaluation an den ersten teilnehmenden Schulen auf etwaige Mängel oder Schwierigkeiten testen. Die vollständige Begleitung des Projekts folgt dann im Schuljahr 2024 / 25 mit einem neuen Jahrgang an Kindern. Diese wird sie zu Beginn, in der Mitte und am Ende des Schuljahres befragen, um die Auswirkung der Teilnahme an Fit wie Herkules auswerten zu können. Da es dafür auch eine Kontrollgruppe braucht, sollen an den Schulen jeweils alle Drittklässler in der Ganztagsbetreuung den Fragebogen ausfüllen, also auch diejenigen, die sich nicht zum Programm anmelden. Außerdem ist eine kleine Elternbefragung geplant, um „Herkunftseffekte“ auszuschließen: „Wir wollen sicherstellen, dass beispielsweise neue Vereinsmitgliedschaften wirklich wegen des Projekts und nicht wegen des sozioökonomischen Status der Eltern geschlossen werden.“
Zusätzlich würde Alicia Koch gerne abfragen, wie die Grundschulkinder ihre eigenen körperlichen Fähigkeiten wahrnehmen. Das heißt, die Kinder sollen angeben, wie stark oder schnell sie sich fühlen, wie es ihnen bei und nach dem Sport geht oder welche Sportarten ihnen Spaß machen. „Ich könnte mir auch vorstellen, dass in Zukunft andere Studierende zum Beispiel motorische Tests mit den Kindern durchführen, um die Ergebnisse zu ergänzen, die bei mir erstmal auf einer reinen Selbsteinschätzung beruhen“, sagt sie.
Das Ziel: Kinder und Jugendliche lebenslang für den Sport begeistern
Insgesamt hält die Sport-Studentin sehr viel von dem „Fit wie Herkules“-Ansatz. „Unser Ziel als zukünftige Sportlehrkräfte ist es, Kinder und Jugendliche für den lebenslangen Sport zu motivieren. Dabei darf es eben nicht nur um Leistung gehen, sondern die psychischen Effekte, die Gesundheit und der Spaß müssen im Vordergrund stehen“, betont sie. Das Projekt setze genau hier an: „Es ermöglicht jungen Kindern Bewegung ohne Leistungsdruck, sie können verschiedene Sportarten ausprobieren und so ihre eigenen Interessen entdecken.“
Zauberer gegen Fee: Wer gewinnt? An einem sonnigen Mittwochnachmittag im Oktober spielt Hanna Pohlmann also 60 Minuten lang drei Spiele mit den Kindern; genauer gesagt spielen sie an diesem Tag Fangen in verschiedenen Varianten. In einem mit bunten Hütchen eingegrenzten „Spielfeld“ auf der Wiese im Außenbereich der Schule powern sich die Kinder zunächst in einigen Runden klassischem Fangen aus. Dann gibt es einen zauberhaften Twist: der nächste Fänger ist ein Zauberer, der Gefangene versteinern lässt. Doch natürlich gibt es auch eine gute Fee, dem Zauberer unbekannt, die die Versteinerten wieder befreien kann. Wer wird siegen? Nach einer kurzen Trinkpause starten die Kinder unter Anleitung in das dritte und letzte Fang- Spiel:„Tom und Jerry“, das in Pärchen gespielt wird. Zum Ende hin werden die Schritte langsamer, die Fang-Runden kürzer und die Sitzpausen länger. Man merkt, dass die Kinder erschöpft sind – kein Wunder, nach so viel Aufregung und eifrigem Gerenne. Nun heißt es also: bis nächste Woche.
Dieser Beitrag erschien im Universitäts-Magazin publik 2023/4. Text: Lisa-Maxine Klein