30.11.2021

Das sozial-ökologische Gewissen der Konsument:innen

Das Problem der nicht-nachhaltigen Entwicklung auf unserer Erde gehört zu der größten Herausforderung, der die Menschheit in ihrer Geschichte bisher gegenüberstand.

Die Wirtschaftssysteme, die insbesondere den „westlichen Lebensstandard“ sicherstellen, beschleunigen durch häufig nicht nachhaltige Herstellungs- und Logistik-prozesse den Klimawandel, die Zerstörung der natürlichen Lebensräume und den irreversiblen Verbrauch nicht nach-wachsender Rohstoffe. Da gesetzliche Vorgaben für Unter-nehmen häufig weit hinter dem zurückbleiben was tatsäch-lich nötig wäre, um auch künftigen Generationen ein gutes Leben auf der Erde zu ermöglichen, verfolgen zahlreiche Regierungen und ökologische Verbände das Ziel den Kon-sument:innen mehr Verantwortung zu übertragen (Empow-erment) und somit Unternehmen zu einem nachhaltigeren Wirtschaften zu bewegen.

Hierzu werden Verbraucherinnen und Verbraucher zuneh-mend mit Informationen zur sozial-ökologischen Wertigkeit von Produkten und Dienstleistungen ausgestattet. Damit können diese ihre Kaufentscheidungen besser an sozi-al-ökologischen Kriterien ausrichten und einer nachhaltigen Entwicklung Vorschub leisten. Bereits etablierte und allseits bekannte Maßnahmen sind die verschiedenen Siegel, die soziale oder ökologische Mehrwerte für bestimmte Produkte herausstellen. Des Weiteren wird in der EU-Kommission aktuell beispielsweise ein Aktionsplan diskutiert, mit dessen Hilfe Konsument:innen systematisch und in Echtzeit Zugang zu Informationen bezüglich der Tauglichkeit von Produkten für die Kreislaufwirtschaft verschafft werden soll.

Doch diese Strategien scheinen nur bedingt aufzugehen. Ein Blick auf die Abverkaufszahlen von als ökologisch wertvoll gekennzeichneten Produkten zeigt, dass diese bei den Verbraucher:innen noch immer nur einen sehr geringen Teil am Gesamtkonsum ausmachen. Nach wie vor dominieren traditionell und häufig nicht nachhaltig hergestellte Produkte. Auch wenn auf dem Vormarsch, ist „Öko“ also noch immer eine Nische. Ein besonderes Rätsel dabei ist, dass sich in Meinungsumfragen ein ganz anderes Bild bei den Verbrau-cher:innen zeigt. Überwältigende Mehrheiten bekunden regelmäßig die zentrale Bedeutung der sozial-ökologischen Wertigkeit bei der Auswahl von Produkten. Die eigene Wer-tung und das tatsächliche Kaufverhalten stimmen demnach nicht überein. Das Gewissen der Verbraucher:innen gebietet zwar die Berücksichtigung sozial-ökologischer Kriterien, doch wenn es darauf ankommt, scheint diese Auffassung die Kaufentscheidung kaum zu beinflussen. Der Ergründung dieses Widerspruchs bin ich in meiner Dissertation nachgegangen und habe mir zwei zentrale Fragen gestellt: Zum einen, wovon hängt es überhaupt ab, dass Konsument:innen ihr Gewissen auch dann noch spüren, wenn sie tatsächlich Kaufentscheidungen treffen? Zum ande-ren, schalten Konsument:innen ihr Gewissen in bestimmten Situationen unter Umständen einfach ab, um der zum Teil einschränkenden Berücksichtigung von Nachhaltigkeit bei der Produktwahl zu entgehen?

Zwei groß angelegte Experimente haben hierzu sehr interessante Erkenntnisse zu Tage gefördert.

Aus der Sozial- und Umweltpsychologie wurden dabei zunächst Faktoren identifiziert, die für die Gewissensaktivierung relevant sein könnten. In den Experimenten wurden die Studienteilnehmer:innen dann mit Produkten konfrontiert, die offenkundige Missstände in Bezug auf Nachhaltigkeit beinhalteten. Die Proband:innen wurden zu den einzelnen Faktoren und dem Grad des „schlechten Gewissens“ im Falle eines Kaufes der Produkte befragt. Durch statistische Verfahren konnte schließlich geprüft werden, welche Faktoren besonders relevant für die Gewissensaktivierung waren.

Es kommt auf die Emotionen an!

Proband:innen, denen die sozial-ökologischen Probleme des Produktes auch emotional nahe gingen, zeigten eine wesentlich stärkere Gewissensreaktion als Proband:innen, die nur vom Kopf her „wussten“, dass ein Problem vorliegt. Dieser Umstand liefert unter anderem eine Erklärung dafür, dass der doch eher rational geprägte Ansatz der reinen Informationsvermittlung, keinen wirklich tiefgreifenden Effekt auf das Gewissen von Konsument:innen hat, wenn sie tatsächlich Kaufentscheidungen treffen. Verantwortliche Akteur:innen sollten also überlegen, wie sie Probleme der Nachhaltigkeit so kommunizieren, dass sie nicht nur unseren Verstand, sondern auch unser Herz berühren.

„Schönredung“

Konsument:innen neigen dazu sich die Nachhaltigkeitsmängel bzw. den Kauf eines nicht-nachhaltigen Produktes schönzureden! Proband:innen, die die präsentierten Produkte abseits der Nachhaltigkeitsmängel als grundsätzlich begehrenswert einschätzten, neigten dazu experimentell kontrollierte Möglichkeiten zur „Schönredung“ der Nachhaltigkeitsmängel der Produkte stärker zu nutzen als Proband:innen, für die die Produkte grundsätzlich weniger attraktiv waren. Das Begehren dominiert somit das Gewissen. Besonders interessant, eine Art begehrlichkeitsgetriebener Scheuklappeneffekt konnte dafür als zugrundeliegender Mechanismus identifiziert werden. Proband:innen blendeten Argumente, die gegen die „Schönredung“ der Nachhaltigkeitsmängel der Produkte sprachen, einfach aus, wenn diese gleichzeitig begehrlich erschienen. Dadurch wirkte der Kauf eines begehrlichen, aber nicht-nachhaltigen, Produktes auch für den Verstand als moralisch akzeptabel.

Die Ergebnisse der Arbeit helfen dabei die schlep-pende Entwicklung des nachhaltigen Konsums besser zu verstehen und zeigen Möglichkeiten auf, diesen weiter zu fördern. Insbesondere die Emotionen spielen eine zentrale Rolle bei der Berücksichtigung bzw. Missachtung sozial-ökologi-scher Aspekte während der Kaufentscheidung. Von diesen Erkenntnissen können Förderansätze für nachhaltigen Konsum profitieren. Gleichzeitig wer-den aber auch die Grenzen solcher Ansätze deutlich, denn der Gewissensentscheidung steht die Begehr-lichkeit eines Produktes entgegen und schränkt die Wirksamkeit einer emotionalen Ansprache ein. Somit ist es denkbar, dass Konsument:innen, denen die Nachhaltigkeit am Herzen liegt, eine stärkere Vorgaben in diesen Bereichen sogar begrüßen würden, um den stetigen und unangenehmen Gewissenskonflikten zu entgehen.