20.06.2023 | Porträts und Geschichten

Warum ein Professor der Uni Kassel an den Special Olympics teilnimmt

Prof. Dr. Norbert Hagemann ist Professor für Sportpsychologie an der Universität Kassel – und ehemaliger Zweitliga-Handballspieler. In dieser Woche tritt er als sogenannter „Partner“ in einem Unified-Basketballteam bei den Special Olympics Weltspielen in Berlin an, d.h. als Nicht-Beeinträchtigter in einer Mannschaft mit geistig Beeinträchtigten. Die Special Olympics sind Spiele für geistig beeinträchtigte Menschen, die weltweit größte inklusive Sportveranstaltung – und finden dieses Jahr erstmalig in Deutschland statt. Wir haben ihm einige Fragen gestellt.

Prof. Hagemann, wie kam es zu Ihrer Teilnahme an den Special Olympics 2023?

Hagemann: Ich bin durch einen früheren Studienkollegen in das Team der „Eiderbaskets“ gekommen, weil er diese Basketball-Mannschaft geleitet hat. Wir spielen jetzt schon seit 12 Jahren in einem sogenannten „Unified-Team“ zusammen. Wir bringen also schon viel Erfahrung mit, sind gut aufeinander eingespielt und kennen unsere Stärken und Schwächen.

 

Was ist ein „Unified Partner“? Was ist ein „Unified-Team“?

Hagemann: Bei den Special Olympics nennt man die Teilnehmenden ohne geistige Beeinträchtigung „Partner“ und diejenigen mit Beeinträchtigung(en) „Athleten“. Ein „Unified-Team“ ist also ein gemischtes Team, in dem sowohl „Partner“ ohne und „Athleten“ mit Beeinträchtigung zusammenspielen. Teams, die ausschließlich aus Personen mit geistigen Beeinträchtigungen bestehen, heißen bei den Special Olympics „traditionelle Mannschaften“.

Bei den Unified-Teams wird der inklusive Gedanke weitergedacht und auch gelebt: Hier werden sportliche Erlebnisse nicht nur untereinander, sondern miteinander geteilt. Das ist ein besonderes Erlebnis und macht viel Spaß. Es ist viel Kommunikation und Absprache in der Mannschaft nötig. Das funktioniert super, wenn alle mitziehen.

 

Gibt es bei den Special Olympics für Basketball besondere oder zusätzliche Spielregeln?

Hagemann: Die wichtigste Regel ist, dass es eine Bestrafung gibt, wenn Partner-Spieler zu sehr dominieren. „Unified-Wettbewerb“ heißt, es ist immer mindestens eine Person ohne Beeinträchtigung auf dem Feld bzw. im Spiel. Die „Partner“ sind aber nie in der Überzahl und die Aufteilung ist im Regelwerk fest vorgegeben.

Solche Strafen kommen aber selten vor. Die Partner sind sich ja bewusst, dass sie nicht dominieren dürfen. Es geht darum, alle einzubinden. Das 3x3-Format, in dem wir antreten, ist für Inklusion tatsächlich super geeignet, da man als alleiniger Partner auf dem Feld steht – so ist zum Beispiel ein gegenseitiges Zuspiel mit einem anderen Partner gar nicht möglich und der Wechsel mit den beiden Athleten immer gegeben. Außerdem kann ich als Handballspieler beim Basketball sowieso gar nicht auftrumpfen! (lacht)

Das spielt übrigens auch schon bei der Qualifikation eine Rolle. Hier zählen nämlich nicht nur die Siege der Mannschaft: Es gibt eine zusätzliche Bewertung dafür, wie gut das Team den Unified-Gedanken umsetzt, also ob man zum Beispiel zusammensitzt und zusammen isst, gemeinsam etwas unternimmt oder wie die Kommunikation im Team ist.

 

Wie ist die Stimmung vor Ort? Welche Bedeutung hat diese Veranstaltung für die Teilnehmenden?

Hagemann: Die Stimmung ist wirklich umwerfend. Die Begegnungen mit den anderen Mannschaften waren sehr spannend. Und die gemeinsame Eröffnungsfeier war für die Athleten und alle Teilnehmenden natürlich ein absoluter Gänsehaut-Moment. Alle haben getanzt, gefeiert, gesungen und hatten so gute Laune. Man muss es sich mal vorstellen: 50.000 Zuschauende im Olympia-Stadion in Berlin und alle sind für den Einzug der deutschen Mannschaft aufgestanden – das war sehr emotional.

 

Was können Sie von dieser Erfahrung für Ihre Forschung und Arbeit an der Uni Kassel mitnehmen?

Hagemann: Nächstes Jahr soll an der Uni Kassel ein neuer Studiengang eingeführt werden: Förderpädagogik (L5). Ich bekomme Eindrücke, worauf wir bei dem Konzept für das Lehramtsfach Sport achten sollten und wie wir hier die Ausbildung besonders gut gestalten können. Die Teilnahme bei den Special Olympics und meine Mitgliedschaft bei den „Eiderbaskets“ gibt mir auf jeden Fall ein besseres Verständnis für besondere Bedürfnisse.

Interessant ist für mich auch zu sehen, dass die Athleten ein sehr feines Gespür für Gerechtigkeit und Fairplay haben. In diesen Wettbewerben geht es – anders als in unserer typischen sportlichen Sozialisation - nicht immer nur darum zu gewinnen. Hier gibt es zum Beispiel keine taktischen Fouls, da das ein unfairer Vorteil wäre – und das wollen die Athleten nicht. Hier können die Partner also auch sehr viel von den Athleten lernen.

 

Richten Sie in Ihrer Forschung auch ein Auge auf Personen mit (geistigen) Beeinträchtigungen? Planen Sie das für die Zukunft?

Hagemann: Spannend ist wirklich das riesige Potenzial von Bewegung. Körperliches ist so wichtig für die Selbstwirksamkeit und hat so viele positive Auswirkungen – physisch und motorisch, aber auch emotional und sozial. Hier besteht auf jeden Fall Bedarf und es sind mehr Projekte und Forschung notwendig. Wir haben ja bereits mit task – dem Transfer- und Anwendungszentrum für Sport in Kassel eine Kooperation mit dem Sportamt und begleiten zum Beispiel regionale Projekte wissenschaftlich. Es wäre schön, in Zukunft auch bei inklusiven Angeboten so zu kooperieren. Noch gibt es keine konkreten Projekte. Wir werden aber in Zukunft sicherlich welche initiieren. 

 

Interview: Lisa-Maxine Klein