Wie ein Land-Raubtier vom Erbe seiner Meeres-Ahnen profitiert
Das Ergebnis hat uns überrascht, denn in aller Regel produzieren Landlebewesen keine Phosphonate.
Bereits seit 2012 untersuchen Prof. Dr. Georg Mayer, Leiter des Fachgebietes Zoologie an der Universität Kassel und sein Mitarbeiter Dr. Alexander Bär die australische Stummelfüßerart Euperipatoides rowelli. Diese jagt und verteidigt sich gegen Fressfeinde, indem sie einen klebrigen Schleim abschießt, der durch Ziehen und in Kontakt mit der Umgebungsluft in Sekundenschnelle feste Fasern bildet und das Opfer so bewegungsunfähig macht. Die Flüssigkeit hat aber noch eine weitere erstaunliche Eigenschaft – sie lässt sich hervorragend recyceln: Im Kontakt mit Wasser nimmt das festgewordene Sekret wieder seine ursprüngliche Form an.
Bisher ging das Team davon aus, dass für die besonderen Merkmale des Schleims Phosphor in Form von Phosphatgruppen eine Rolle spielt, welche bestimme Proteine modifizieren. In einer neuen Studie haben die Forscher nun herausgefunden, dass der Phosphor eigentlich in einer anderen Form, nämlich als Phosphonate, im Schleim vorkommt und mit Zuckermolekülen und großen faserbildende Schleimproteinen verknüpft ist. „Das Ergebnis hat uns überrascht, denn in aller Regel produzieren Landlebewesen keine Phosphonate, diese kommen vor allem bei Meeresbewohnern vor“, so Dr. Alexander Bär.
Das Team arbeitete unter anderem mit Dr. Alexandre Poulhazan von der Université du Québec à Montréal zusammen. Seine Analysen mit Massenspektrometern und Kernspinresonanzgeräten ergaben, dass es sich im Schleim nicht wie vermutet um Phosphate, sondern um seltene Phosphonat-Verbindungen handelt. Diese verleihen den Proteinen zusätzliche Ladungen, welche vermutlich die schnelle Zusammenlagerung zu starken Fasern verbessert. Neben dem australischen Stummelfüßer wurde auch sein karibischer Verwandter, Euperipatoides barbadensis, untersucht. Auch in dessen Schleim konnten die Forschenden diese Phosphonat-Verbindungen feststellen.
Aus den neuen Erkenntnissen schließen die Zoologen, dass die beiden Arten den Herstellungsmechanismus der Phosphonat-Verbindung womöglich von einem Meeresbewohner geerbt haben, der vor über 500 Millionen Jahren lebte und damit einen Grundstein für die einzigartige Jagdmethode legte.
„Der Umstand, dass die Herstellung der komplexen Phosphonat-Verbindung für die Landlebewesen sehr energieaufwändig ist und trotzdem über Jahrmillionen in beiden Arten erhalten blieb, deutet darauf hin, dass die Phosphonate einen evolutionären Vorteil gegenüber anderen, weniger energieaufwändigen chemischen Verbindungen haben. Sie müssen also für den Schleim eine essenzielle Funktion haben, die künftig genauer erforscht werden sollte“, so Prof. Dr. Georg Mayer.
Dr. Alexander Bär hat kürzlich das renommierte Feodor Lynen-Forschungsstipendium der Alexander von Humboldt-Stiftung erhalten, um in den nächsten zwei Jahren seine Forschung an der McGill University in Montreal (Kanada) fortzusetzen.
Die Publikation der Studie mit dem Titel "Peculiar Phosphonate Modifications of Velvet Worm Slime Revealed by Advanced Nuclear Magnetic Resonance and Mass Spectrometry" ist am 18.09.2023 in dem renommierten "Journal of the American Chemical Society" erschienen:
https://pubs.acs.org/doi/10.1021/jacs.3c06798
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Prof. Dr. Georg Mayer
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