"Manipulative Meinungsmache im FOCUS gegen postkoloniale Studien"
Das Magazin FOCUS hat im Dezember 2023 zwei Artikel veröffentlicht, die heftige Kritik an den Postkolonialen Studien üben. Einen von Jan Fleischhauer mit dem Titel “Hass-Lehre an deutschen Unis: Unsere Studenten lernen, unsere Werte zu verachten" und einen von Susanne Stephan mit dem Titel “Am liebsten revolutionär. Postkolonialismus-Studien unterlaufen den Wissenschaftsbetrieb und machen Antisemitismus hoffähig”.
Auch wenn der erste Artikel eine noch drastischere Polemik aufweist aufweist (der postkolonialen Theorie wird “Gehirnwäsche” vorgeworfen und sie wird mit der nationalsozialistischen Rassenlehre verglichen) und der zweite sich immerhin die Mühe macht, “Experten” zu zitieren und höchst ungenaue “Belege” anzuführen, ist ihr gemeinsamer Nenner, dass ihre Aussagen über die postkolonialen Studien jeder Grundlage entbehren und Teil eines größeren Trends in den Medien sind, den ich in einem Artikel in der Frankfurter Rundschau zu erklären versuche. Die faktenverzerrende Argumentation der Kritik an den postkolonialen Studien möchte ich an einem Beispiel illustrieren, das mich persönlich betrifft.
Stephan schreibt: “Juden gelten in den "Postcolonial Studies" oft als "weiß", also als per se verdächtig. Israel wird dann schon fast folgerichtig als koloniales Projekt gebrandmarkt. Gleichzeitig wird Verständnis für diejenigen gezeigt, die das Land auslöschen wollen. "Wenn das politische Ziel der militanten Palästinenser darin besteht, die Besatzung rückgängig zu machen", schrieb Aram Ziai, Leiter des Fachgebietes Entwicklungspolitik und Postkoloniale Studien an der Uni Kassel nach dem Blutbad vom 7. Oktober, dann könne man dies als "antikolonialen Befreiungskrieg" bezeichnen. Wohlgemerkt: Bei der "Besatzung" geht es in der Diktion der Hamas-Kämpfer nicht um israelische Siedlungen im Westjordanland, sondern um den gesamten Staat."
Hier wird Einiges miteinander vermischt, was in einer sauberen Argumentation getrennt werden sollte (Postcolonial Studies und Critical Whiteness, Kritik an der völkerrechtswidrigen Besatzung, Kritik an der mit Vertreibung und Gewalt verbundenen Staatsgründung Israels und das Massaker vom 7. Oktober), aber u.a. wird der Eindruck erweckt, ich würde dieses Massaker gutheißen.
Die Autorin bezieht sich dabei auf einen englischen Text von mir. In diesem Text fällt das Zitat “if the political objective of Palestinian militants is to undo the occupation and regain the land from which Palestinians were forcibly displaced for decades and which has been taken a by settler state denying them equal rights, then yes, this can be framed as an anticolonial war of liberation”. Auf den ersten Blick scheint das Zitat korrekt. Impliziert wird bei dieser Verwendung des Zitats, dass sich “Palestinian militants” auf die Hamas bezieht und “anticolonial war of liberation” auf den Angriff vom 7. Oktober.
Beides ist jedoch falsch. Zunächst fängt der Satz an mit “if”, signalisiert also, dass die Einordnung der Militanten abhängig ist von ihren Zielen. Der nächste Satz führt diese Differenzierung fort, er lautet: “However, if the violence is directed not only against occupying forces, but against Jews as such, it also resembles an antisemitic “race war”.” Hier unterscheide ich also sehr deutlich zwischen einem bewaffneten palästinensischen Widerstand gegen die israelische Besatzungsmacht und dem Massaker von unschuldigen Zivilist_innen (israelischen Friedensaktivist_innen eingeschlossen), wie es die Hamas in diesem Angriff verübt hat. Der Text geht weiter: “Even if Hamas is fighting against a settler colonial Apartheid state (established as a refuge for Jews after the Holocaust, it should be mentioned), we have to ask: what is it fighting for? According to its charta: a religious fundamentalist state where the Jews have been killed. Only right-wing extremists would see this as liberation.”
Obwohl ich also in dem Text die Hamas als antisemitisch und religiös-fundamentalistisch bezeichne, das Massaker mit einem antisemitischen Rassenkrieg vergleiche und schreibe, dass das, was die Hamas als “Befreiung” versteht, nur von Rechtsextremen als eine solche angesehen werden kann, suggeriert der FOCUS durch das aus dem Zusammenhang gerissene Zitat das genaue Gegenteil: ich würde Verständnis für die Hamas und ihre Morde aufbringen. Dies ist eine Verdrehung des Sinns meiner Aussage und eine Missachtung journalistischer Standards mit dem Ziel manipulativer Meinungsmache.
Text von Aram Ziai