20.02.2024 | Campus-Meldung

Wie können wir die Daten­ökonomie fair gestalten?

Von der Verteilung datenökonomischer Erlöse, der Beeinflussung der politischen Meinungsbildung bis hin zur Diskriminierung durch Algorithmen – die Datenökonomie steht vor zahlreichen Fairness-Herausforderungen. Das interdisziplinäre Team des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Verbundprojekts „Faire digitale Dienste: Ko-Valuation in der Gestaltung datenökonomischer Geschäftsmodelle (FAIRDIENSTE)“ veröffentlicht nun über die Plattform Privatheit ein White Paper, das erläutert, wie Unternehmen ihre Geschäftsmodelle mit datenökonomischer Fairness in Einklang bringen können.

Foto von Prof. Dr. Jörn Lamla.Bild: Uni Kassel.
Prof. Dr. Jörn Lamla.

Das Paper versteht sich dabei als analytisches, praktisches Hilfsmittel zur Entwicklung und Umsetzung fairer Geschäftsmodelle in der Datenökonomie. Neben Praktikern aus Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft richtet sich das Paper auch an eine interdisziplinäre wissenschaftliche Community.

„Die praktischen Instrumente und analytischen Ansätze im White Paper wurden in enger Zusammenarbeit mit unseren Praxispartnern BurdaForward und dem Institut für Technik und Journalismus e.V. entwickelt und erprobt. Dazu gehören beispielsweise die umfangreichen Analysen des digitalen Journalismus auf der Ebene des Ökosystems, der Geschäftsmodelle oder der Unternehmenskulturen, aber auch die Methoden der partizipativen Geschäftsmodellgestaltung oder der Kuratierung von Kontroversen“, sagt Projektkoordinator Prof. Dr. Jörn Lamla von der Universität Kassel. „Nur dadurch konnte die Praxisnähe des Instrumentenkastens sichergestellt werden. Es ist uns daher wichtig, den Praxispartnern ausdrücklich zu danken.“

Digitale Dienste formen mitunter unbemerkt weite Teile des privaten Lebens, weswegen es unerlässlich ist, hier die Grundlage für digitale Selbstbestimmung zu legen. Darüber hinaus werfen sie auch Herausforderungen hinsichtlich der gerechten Verteilung von datenökonomischen Erlösen oder der Vermeidung algorithmischer Diskriminierung von Personengruppen auf. Diese Entwicklungen erfordern neue Ansätze zur Gestaltung der Datenökonomie, die über klassische Vorstellungen des Daten- und Privatheitsschutzes hinausgehen.

Ziel des FAIRDIENSTE-Projekts ist es daher, mit soziologischen und (wirtschafts-)informatischen Ansätzen verschiedene Wege der fairen Vermittlung von Werten auszuloten, die bei der Geschäftsmodellgestaltung in der Datenökonomie relevant sind.

Zunächst sollte ein analytisch gehaltvolles Fairness-Verständnis entwickelt werden, das auch für die konkrete datenökonomische Gestaltungspraxis innovative und wirtschaftlich tragfähige Alternativen zu gegenwärtigen Geschäftsmodellen freizulegen vermag. Dazu haben die Forschenden in FAIRDIENSTE verschiedene Ansätze der „Ko-Valuation“ erprobt, die als Verrechnung, Design und Kultivierung bezeichnet werden: Erstens wurde untersucht, inwiefern sich unterschiedliche Werte in eine ökonomische Sprache der Preise und Metriken übersetzen und fair verrechnen lassen (Verrechnung). Zweitens wurde herausgearbeitet, wie Wertkonflikte durch technische und regulative Designs kanalisiert werden können (Design). Drittens wurde geprüft, inwiefern die öffentliche Aushandlung von Wertkonflikten, z. B. über Social-Media-Elemente, gefördert werden kann, um zu einer Kultur der Fairness unter den Nutzer:innen beizutragen (Kultivierung).

„Fragen der Fairness in der Datenökonomie betreffen eine Vielzahl an Stakeholdern und haben auch für Unternehmen jenseits von reinen monetären Interessen Relevanz“, hält Mitautor Prof Dr. Thomas Hess vom Institut für Digitales Management und Neue Medien der Ludwig-Maximilians-Universität München fest. „Es hat sich gezeigt, dass diese komplexen Forschungsfragen nur mit interdisziplinären Ansätzen und unter engem Einbezug der Praxis angegangen werden können. Die vertrauensvolle Zusammenarbeit im Konsortium hat sich als Erfolgsfaktor erwiesen.“

 

Anwendungsfall digitaler Journalismus:  Wie können dessen Herausforderungen gemeistert werden?

Wie Unternehmen ihre Geschäftsmodelle mit datenökonomischer Fairness in Einklang bringen können, wurde anhand der Fairness-Herausforderungen des digitalen Journalismus überprüft. Einerseits kommt dem digitalen Journalismus eine wichtige Bedeutung für die demokratische Meinungsbildung und die Verhandlung verschiedener gesellschaftlicher Werte zu, andererseits ist der digitale Journalismus auch stark durch datenökonomische Geschäftsmodelle geprägt und von diesen abhängig. Dynamische Veränderungen auf der Ebene der Geschäftsmodelle oder Infrastrukturentscheidungen großer Plattformen wie Facebook/Meta oder Google/Alphabet haben somit auch Effekte auf die Art und Weise, wie der digitale Journalismus Rahmenbedingungen für die demokratische Meinungsbildung schaffen kann. Die Gestaltung von Empfehlungssystemen, Anforderungen des Daten- und Privatheitsschutzes, die Trennungsnorm von redaktionellen Inhalten und Werbung oder die Verbreitung von Fake News und Hate Speech sind Beispiele für Fairness-Herausforderungen des digitalen Journalismus. Die im Paper enthaltenen Überlegungen zur fairen Geschäftsmodellgestaltung sind aber nicht nur auf den digitalen Journalismus beschränkt, sondern sollen auch auf andere gesellschaftliche Bereiche anwendbar sein.

Das White Paper wird auf der Abschlusskonferenz des FAIRDIENSTE-Projekts am 21./22.02.2024 im Wissenschaftlichen Zentrum für Informationstechnik-Gestaltung (ITeG) der Universität Kassel vorgestellt und diskutiert.

Das Projekt FAIRDIENSTE wird von Februar 2021 bis April 2024 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert. FAIRDIENSTE ist ein interdisziplinärer Forschungsverbund, der die Fachgebiete Soziologische Theorie (Prof. Dr. Jörn Lamla, Verbundkoordination), Partizipative IT-Gestaltung (Prof. Dr. Claude Draude) sowie Wissensverarbeitung (Prof. Dr. Gerd Stumme) an der Universität Kassel, das Institut für Digitales Management und Neue Medien an der Ludwig-Maximilians-Universität München (Prof. Dr. Thomas Hess), das Unternehmen BurdaForward (Dr. Richard Weber und Dr. Alina Hang, München) sowie das Institut für Technik und Journalismus e. V. (Miriam Ruhenstroth, Berlin) umfasst.

 

Kontakt:

Prof. Dr. Jörn Lamla
Universität Kassel
Fachgebeiet Soziologische Theorie
E-Mail: lamla[at]uni-kassel[dot]de