Prof. Dr. Andreas Fischer-Lescano
Wir müssen weg von dem anthropozentrischen Denken
Interview
Was genau erforschen Sie im Fachgebiet?
Die Präambel des Pariser Klimaabkommens fordert von den Vertragsstaaten, die notwendigen sozial-ökologischen Transformationen als „Just Transitions“ zu gestalten und der Gleichursprünglichkeit sozialer und ökologischer Gerechtigkeitsanforderungen Rechnung zu tragen. Und genau darum geht es bei der Forschung in meinem Fachgebiet. Wir untersuchen als interdisziplinär vernetzte Rechtswissenschaftler*innen Grundfragen der sozialökologischen Transformation.
Was ist Ihr aktuell wichtigstes Forschungsprojekt und warum?
Im Grunde geht es in all meinen Projekten um die Gestaltung der rechtspolitischen Rahmenbedingungen mit dem Ziel der Ermöglichung einer sozialökologischen Transformation, die insbesondere auch eine Transformation der gegebenen Macht- und Rechtsstrukturen sein muss. Es gibt eine Kluft zwischen den Anforderungen sozialökologischer Gerechtigkeit und den Gegebenheiten einer postkolonialen, intersektionell diskriminierenden, anthropozentrischen und ökonomisch ungleichen Weltgesellschaft. Mein Fachgebiet beforscht wie diese Dominanzmuster auch das globale Recht und damit auch das globale Nachhaltigkeitsrecht prägen. Und wir suchen nach Möglichkeiten der Überwindung. Um ein Beispiel zu nennen: Die Frage nach einer inklusiven Weltgesellschaft darf nicht anthropozentrisch verengt werden. Bei sozialökologischer Gerechtigkeit geht es auch um eine Neukonzeption des Ökologischen, um eine Einbeziehung der Ökologie ins Rechtspolitische. Hier setzt unser von der DFG gefördertes deutsch-ecuadorianisches Projekt „Natur als Rechtsperson“ an. Gemeinsam mit unseren ecuadorianischen Kooperationspartner*innen betrachten wir u.a., wie natürliche Entitäten Zugang zu Gerichten erlangen können, wie sie repräsentiert werden und vor allem welche gesellschaftlichen Auswirkungen Rechte der Natur mit sich bringen.
Welche Momente bereiten Ihnen besonders viel Freude bei Ihrer wissenschaftlichen Arbeit?
Wissenschaftliches Arbeiten ist für mich ein dynamischer Prozess, der gerade vom Austausch mit Studierenden und Nachwuchswissenschaftler*innen lebt. Es macht mich glücklich, im Austausch mit jungen, engagierten und kritischen Studierenden, Promovierenden und PostDocs neue Themen, Theorien und Methoden zu diskutieren und dabei wechselseitig voneinander und miteinander zu lernen.
Was zeichnet Nachhaltigkeitsforschung am Kassel Institute for Sustainability aus?
Das Kassel Institute for Sustainability hat als Nachhaltigkeitsinstitut drei Alleinstellungsmerkmale, deren Kombination es von allen anderen mir bekannten Nachhaltigkeitsinstituten unterscheidet:
- Das Kassel Institute lebt die Einheit von Forschung und Lehre – ist also kein reines Forschungsinstitut. Das Institut bündelt die an der Universität Kassel bestehende Forschung und Lehre zu ökologischer, sozialer und ökonomischer Nachhaltigkeit und entwickelt sie in einem dezidiert interdisziplinären Ansatz weiter.
- Das Institut integriert normative und empirische Dimensionen, indem Forschung und Lehre im Institut Fragen der transnationalen Gerechtigkeit, der demokratischen Repräsentation und der Kritik des vorherrschenden Nachhaltigkeitsbegriffs mit konkreten Anwendungsfeldern verbindet.
- Das Kassel Institute versteht Nachhaltigkeit nicht alleine ökologisch, sondern widmet sich den Fragen der sozial-ökologischen Gerechtigkeit in einem umfassenden, auch institutionelle Fragen einschließenden Sinn.
Das Kassel Institute for Sustainability verfolgt einen interdisziplinären Ansatz. Wo sehen Sie die Schnittstellen zu den anderen Forschungsprojekten?
Alle Fragen der sozial-ökologischen Transformation sind auch Rechts- und Machtfragen. Diese Grundannahme spiegelt sich in einer Vielzahl von Projekten des Instituts. Lassen Sie mich dies am Beispiel aus dem Bereich „Wald“ konkretisieren: Mein Kollege Andreas Braun untersucht Konstellationen der Plantagenforstwirtschaft im Globalen Süden. Aufforstungsprojekten wird ein großes ökonomisches und ökologisches Potenzial zugeschrieben. Allerdings führen, so zeigen die Arbeiten von Andreas Braun, diese Großprojekte häufig zu sozialen und rechtlichen Konflikten mit der lokalen Bevölkerung, da die Auswirkungen auf deren Lebensgrundlagen nicht selten verheerend sind. Gerechtigkeits-, Rechts- und Machtfragen – und damit Anschlüsse zu meinen Arbeiten – sind hier inhärent.
Zur Person
Andreas Fischer-Lescano legte im Jahr 1992 am Gymnasium an der Stadtmauer im rheinland-pfälzischen Bad Kreuznach sein Abitur ab und studierte von 1994 bis 1999 Rechtswissenschaft und Philosophie an der Universität Tübingen, der Universität Göttingen, der Päpstlichen Universität Comillas in Madrid und der Universität Frankfurt am Main. Nachdem er das Erste Juristische Staatsexamen 1999 abgelegt hatte, leistete er das Referendariat in Frankfurt am Main und in São Paulo ab und war Mitarbeiter der Sozietät Hengeler Mueller. 2001 folgte dann das Zweite Juristische Staatsexamen. Er wurde an der Universität Frankfurt am Main 2003 mit der Bestbewertung summa cum laude zum Dr. jur. promoviert. Von 2001 bis 2004 war Fischer-Lescano als Wissenschaftlicher Mitarbeiter bei den Professoren Michael Bothe und Thomas Vesting an der Universität Frankfurt tätig. 2002 und 2003 studierte er am Europäischen Hochschulinstitut in Florenz und erlangte dort den Grad eines Master of Laws (LL.M). Von 2003 bis 2004 war er zudem projektgebundener Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg. Danach war er von 2004 bis 2006 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Wirtschaftsrecht der Goethe-Universität Frankfurt am Main bei Gunther Teubner sowie Mitarbeiter an der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK). 2006 wurde er Akademischer Rat an der Frankfurter Universität, 2007 folgte die Habilitation und die Verleihung der Lehrberechtigung für Öffentliches Recht, Europarecht, Völkerrecht und Rechtstheorie. Fischer-Lescano wurde zum 1. Oktober 2022 auf die Professur für das Fachgebiet Just Transitions am Fachbereich Humanwissenschaften der Universität Kassel berufen.