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Prof. Dr. Stefan Lechtenböhmer

Wir haben uns 150 Jahre an fossile Energieträger und deren 24/7-Logik gewöhnt

Interview

Sustainable Technology Design: Was genau erforschen Sie im Fachgebiet?

Wir konzentrieren uns auf Lösungen für die Transformation von Industrie- und Energiesystemen in Richtung Klimaneutralität und Kreislaufwirtschaft. Unsere Expertise liegt in den Grundstoffindustrien wie Stahl, Zement und Petrochemie. Wir entwickeln Lösungen, um diese Industrien klimaneutral, ressourceneffizient und zirkulär zu gestalten. Dabei konzentrieren wir uns insbesondere auf die Wechselwirkungen zwischen industrieller Transformation und der Entwicklung eines regenerativen Energiesystems.

Was hat Sie dazu inspiriert, in diesem Bereich wissenschaftlich zu arbeiten?

Die Transformation der Grundstoffindustrien ist eines der drängendsten globalen Probleme: Industrien wie Stahl, Petrochemie und Zement wandeln natürliche Ressourcen in Grundstoffe um - ein extrem energieintensiver Prozess, der allein in diesen drei Branchen direkt für 20 Prozent der weltweiten energiebedingten CO2-Emissionen verantwortlich ist. Als wir vor gut 10 Jahren begonnen haben intensiv mit der Industrie zu arbeiten, gab es so gut wie keine Forschung zu diesem wichtigen Themenkomplex. Hier haben wir wichtige Pionierarbeit geleistet.

Welche Methoden wenden Sie in Ihrer Forschung überwiegend an?

Wir verfolgen einen systemanalytischen Ansatz, der die Industrie in ihrer Transformation zu einer klimaneutralen und ressourcenleichten Wirtschaftsweise einerseits techno-ökonomisch und quantitativ im Kontext des Energiesystems modelliert und analysiert, andererseits als sozio-technisches System ganzheitlich in ihren sozialen und institutionellen Kontexten betrachtet. Dabei wenden wir primär quantitative, modellgestützte Szenarioanalysen an und nutzen diese für Strategieentwicklung und das Design von Politikinstrumenten.

Welche Momente bereiten Ihnen besonders viel Freude bei Ihrer wissenschaftlichen Arbeit?

Bei der wissenschaftlichen Arbeit macht mir die Begegnung mit hoch interessanten und engagierten Menschen besondere Freude - als Kolleg*innen, als Studierende und als Kooperationspartner*innen in Unternehmen und Institutionen.

Welche persönlichen Ziele oder Visionen treiben Sie in Ihrer wissenschaftlichen Arbeit an?

Mit meiner wissenschaftlichen Arbeit möchte ich Lösungsbeiträge liefern, damit Nordhessen als Region und die Welt insgesamt die große Transformation zur Nachhaltigkeit bewältigen können. Dabei ist es mir ein besonderes Anliegen, die Vorreiterrolle des Kassel Institute for Sustainability bei der Weiterentwicklung der Wissenschaftslandschaft hin zu einer noch stärkeren Nachhaltigkeitsorientierung erfolgreich mitzugestalten.

Was zeichnet Nachhaltigkeitsforschung am Kassel Institute for Sustainability aus?

Die Universität Kassel ist seit langem ein Hot-Spot für viele Themen der Nachhaltigkeitsforschung. Das Kassel Institute for Sustainability will diese hohe Kompetenz noch intensiver vernetzen, sichtbarer und wirksamer machen. Anders als andere Vorreiter hat die Universität keine eigene Fakultät gegründet, um ihren Nachhaltigkeitsfokus zu stärken. Vielmehr hat das Kassel Institute in seiner Konzeption als starkes universitäres Zentrum bewusst den Anspruch, in die gesamte Universität auszustrahlen und insbesondere fakultätsübergreifend zu vernetzen. Damit verknüpfen wir die gesamte Breite der Lehr- und Forschungsthemen der Universität. Erstes Zeichen dieser Integration sind die künftigen Nachhaltigkeitsstudiengänge, die Studierenden aller Fachrichtungen die Möglichkeit bieten, Nachhaltigkeitswissen und -kompetenzen zu erwerben. Mit diesem konsequenten Konzept ist die Universität Kassel aus meiner Sicht absolute Vorreiterin, wenn es darum geht, die hohe Kompetenz der Wissenschaft stärker für die Bewältigung der Großen Transformation zu aktivieren.

Inhaltlich bieten die Universität und das Kassel Institute eine nahezu einzigartige Breite an Nachhaltigkeitskompetenz. Diese reicht von der Lösungskompetenz der Ingenieur-, Architektur- und Planungswissenschaften, z.B. in Fragen nachhaltiger Energielösungen, nachhaltiger Stadtgestaltung und -entwicklung sowie zukunftsfähiger Agrar- und Ernährungssysteme, über die Gestaltungskompetenz der Politik-, Wirtschafts- und Rechtswissenschaften bis hin zu kritischen Perspektiven der Soziologie und Philosophie oder der Entwicklungsforschung.

Das Kassel Institute for Sustainability verfolgt einen interdisziplinären Ansatz. Wo sehen Sie die Schnittstellen zu den anderen Forschungsprojekten?

Das Kassel Institute for Sustainability verfolgt einen inter- und transdisziplinären Ansatz. Hintergrund ist die Erkenntnis, dass die aktuellen Probleme der Transformation zur Nachhaltigkeit äußerst komplex und vielschichtig vernetzt sind und zudem eine hohe Dringlichkeit aufweisen. Hierfür reicht es selten aus, disziplinäre Lösungen zu suchen. Die Herausforderung besteht darin, über die Grenzen der Disziplinen und auch über die Grenzen der traditionellen Wissenschaften hinweg gemeinsam an Lösungen zu arbeiten. Im Bereich Sustainable Technology Design entwickeln wir Szenarien für die Transformation der Grundstoffindustrie. Um abzuschätzen, wie schnell und mit welchen Mitteln diese Lösungen umgesetzt werden können, setzen wir auf Wissen aus den Wirtschafts- und Politikwissenschaften, ergänzt durch Wissen aus der Geographie und den Regional- und Planungswissenschaften, wenn es um die Entwicklung von Energieinfrastrukturen sowie um regionalwirtschaftliche Effekte und Standortfragen geht.

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