Zurück

Prof. Dr. Susanne Ritzmann

Design kann mehr als äußere Form

Interview

Nachhaltige Produktgestaltung und -entwicklung: Was genau erforschen Sie im Fachgebiet?

Das Fachgebiet an der Kunsthochschule Kassel widmet sich seit Januar 2023 der Verbindung von Design und Nachhaltigkeit. Uns beschäftigen interdisziplinäre Forschungsfragen rund um die Themen Systeme, Strukturen und Kulturen des Mülls. Daneben bearbeitet das Fachgebiet vornehmlich Fragestellungen zur Designtheorie der Dinge, mit einem speziellen Fokus auf Bio und Food Design – also Gestaltungs- und Materialkonzepte im Bereich Biotechnologie, Ernährung, Kulinarik und Esskultur.

Was hat Sie dazu inspiriert, in diesem Bereich wissenschaftlich zu arbeiten?

In allen diesen Themen leitet mich die Frage, wie sich Designschaffende in die Gestaltung der zukünftigen Gesellschaft positiv einbringen können und welche praktischen und reflexiven Fähigkeiten sie selbst dafür benötigen. Seit dem Abschluss meines eigenen Designstudiums ist es mein Ziel, angehenden Designschaffenden die ökologischen und sozialen Konsequenzen ihres Tuns und Handelns bewusst zu machen und mit ihnen alternative Szenarien für die Gestaltung unserer Lebensumwelt zu entwickeln.

Welche konkreten Fragen oder Probleme versuchen Sie derzeit zu lösen?

Eine konkrete Fragestellung derzeit dreht sich um die Verwendung und Nutzbarmachung Kasseler Schafwolle. Die eigentlich positiven – weil gesundheitsfördernden – Eigenschaften der fetthaltigen Rohwolle machen dessen Verarbeitung zum Textil sehr herausfordernd. Damit hat sich die Abschlussarbeit von Fabienne Rako beschäftigt. Sie hat neben einem innovativen Produktionsansatz auch eine Anwendung für diese Wolle zur Linderung von Neurodermitis entworfen.

Was ist Ihr aktuell wichtigstes Forschungsprojekt und warum?

Das Fachgebiet hat die Verantwortung für das BIOLAB an der Kunsthochschule übernommen. Dies ist ein Experimentier- und Arbeitsraum zur Erforschung von Mikroorganismen für das Design. Besonders involviert sind wir derzeit in einer Lehr- und Forschungskooperation mit dem FB Biologie und dem FB Architektur. Dabei arbeiten wir in einem forschenden Lehrsetting mit Pilzen, um deren Potenziale als biologische Materialkomponente und als lebender Designpartner zu untersuchen.
 

Vor welchen Herausforderungen stehen Sie mit Ihrer Forschung?

Größte Herausforderung ist immer noch die geringe Beachtung der Designforschung aufseiten der Fördermittelgeber. Die Potenziale des Designs als Querschnittsdisziplin im Kontext von Nachhaltigkeit sind enorm, die formale Voraussetzung zur Beteiligung an Förderprogrammen hingegen ist eher schlecht.
 

Welche Methoden wenden Sie in Ihrer Forschung überwiegend an?

Die Designforschung betrachtet das Entwerfen als Wissensproduktion. Produkte, Systeme, Dienstleistungen und Praktiken sind dementsprechend manifestiertes Wissen. Wir nähern uns Forschungsfragen aus der gestalterischen Perspektive und erzeugen meisten mit Nutzer*innen oder Betroffenen Alternativen, um die jeweilige Frage zu beantworten und übertragbare Erkenntnisse aus diesen Alternativen abzuleiten.
 

Welche Momente bereiten Ihnen besonders viel Freude bei Ihrer wissenschaftlichen Arbeit?

Gestalter*innen arbeiten sich häufig in völlig neue Kontexte ein (siehe das Beispiel Schafwolle) um Probleme zu verstehen und gute Angebote für Produkte und Prozesse zu machen. Dabei erschließen wir uns die Welt und lernen auch die Sprache der jeweiligen Expert*innen. Dieses Eintauchen ist anstrengend, aber das Knistern der Synapsen im Kopf ist auch eine wahre Freude.
 

Welche persönlichen Ziele oder Visionen treiben Sie in Ihrer wissenschaftlichen Arbeit an?

Lange Zeit galt das Design als Helfer der Marketingmaschinerie und der Verschwendungsgesellschaft. Meine Forschung soll zeigen, dass dem nicht so ist. Design kann viel mehr als äußere Form. Unser ganzes Leben besteht aus gestalteten Abläufen, Beziehungen und Dingen. Mein Ziel ist es, diese auch als Designprobleme zu betrachten und Alternativen zu entwickeln und erproben.
 

Was zeichnet Nachhaltigkeitsforschung am Kassel Institute for Sustainability aus?

Die Vielzahl der vorhandenen fachlichen Perspektiven im Kassel Institute ist einmalig in Deutschland. Das Zusammenwirken dieser Perspektiven ist der Schlüssel für eine nachhaltige Gesellschaft. Wir erproben gewissermaßen im Bereich der Wissenschaft, wie Pluralität in Balance zu bringen ist und Mehrwerte erzeugt. Nicht immer ist jede Disziplin involviert, aber eine Disziplin allein kann die Probleme unserer Zeit nicht bewältigen. Diesen Aushandlungsprozess finde ich enorm wichtig.

 

Das Kassel Institute for Sustainability verfolgt einen interdiziplinären Ansatz. Wo sehen Sie die Schnittstellen zu den anderen Forschungsprojekten?

Die Beispiele oben haben dies schon illustriert, wenn es um Wolle geht, dann sind wir mit Schäfereien und Textiltechnolog*innen im Austausch, wenn es um Pilzmyzel geht, dann mit Mykolog*innen und Biolog*innen. Wenn wir im Bereich Kulinarik forschen, dann sind es Lebensmitteltechnolog*innen, Chemiker*innen und auch Kulturwissenschaftler*innen. Bei der Betrachtung von Müll sind es auch Ingenieur*innen, Psycholog*innen und Künstler*innen.

Zurück