Ringvorlesung WS 2019/2020:
Digitale Gesellschaft — eine Gestaltungsaufgabe
Das Wissenschaftliche Zentrum für Informationstechnik-Gestaltung (ITeG) der Universität Kassel veranstaltet im Wintersemester 2019/2020 in Kooperation mit der Gesellschaft für Informatik (GI) eine Ringvorlesung, welche die Dimensionen der Gestaltung einer digitalisierten Gesellschaft zum Thema hat.
Die einzelnen Vorlesungen beginnen in der Regel Mittwochs um 17.00 Uhr. Veranstaltungsort ist der Konferenzraum des ITeG (Raum 0420, Pfannkuchstraße 1, 34121 Kassel). Themen und Kurzfassungen zu den Vorträgen finden Sie unten.
30.10.2019 |
Prof. Dr. Christine Syrek, Hochschule Bonn-Rhein-Sieg „Eigentlich Feierabend: Wie erweiterte Erreichbarkeit auf Erholung, Wohlbefinden und Arbeitsengagement wirken" |
Die Einführung und Verbreitung digitaler und mobiler Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) nimmt einen prägenden Einfluss auf die Arbeitswelt. Viele Arbeitsplätze sind ohne Computer/ Laptop/ Tablet, Internetzugang und Smartphone kaum mehr vorstellbar. Digitale Technologien legen den Grundstein für eine fortschreitende räumliche und zeitliche Entgrenzung der Arbeit, verändern heutige Arbeitsbedingungen maßgeblich und beeinflussen neben Arbeitszeit und -ort auch Inhalte und Organisation der Arbeit. Die erweiterte Erreichbarkeit von Beschäftigten kann aus zwei Richtungen untersucht werden: Als Erreichbarkeit für Belange der Erwerbsarbeit während der Freizeit und als Erreichbarkeit während der Arbeit für Belange der Familie und Freizeit. In diesem Vortrag werden Vor- und Nachteile der arbeitsbezogenen Erreichbarkeit in der Freizeit behandelt wobei insbesondere die Rolle unerledigter Aufgaben beleuchtet wird, sowie Forschung vorgestellt, die die entgegengesetzte Richtung – eine erweiterte Verfügbarkeit für Belange der Familie und Freizeit während der Erwerbsarbeit – fokussieren. | |
13.11.2019 |
Dr. Katta Spiel, KU Leuven / Universität Wien "Critical Participatory Design — On Listening and Making Space" |
Vor allem in der skandinavischen Tradition hat das partizipative Design immer eine kritische Komponente gehabt, indem es die betroffenen Gruppen emanzipiert hat, die in den vorherrschenden Formen der technologischen Entwicklung oft marginalisiert und entrechtet werden. Meine Praxis konzentriert sich jedoch ausdrücklich auf kritisches Engagement. Dabei stütze ich mich nicht nur auf die Kritische Theorie, um marginalisierte Gruppen im Partizipativen Design zu identifizieren, sondern ich schaffe auch Objekte mit ihnen, die diese Theorie weiterentwickeln und über die Machtdynamik in der akademischen Wissensproduktion reflektieren. In diesem Vortrag stelle ich zwei Fallstudien vor, die die Grundlagen einer kritischen partizipativen Designpraxis veranschaulichen. Die eine zeigt, wie autistische Kinder als gleichberechtigte Designer sinnvoll einbezogen werden. Die zweite befasst sich mit Nachbarschaftskarten und zeigt, wie der Ansatz selbst in engeren Projekten die Forscher dabei unterstützt, sich auf Fragen der Macht, des Eigentums und der Epistemologie einzustellen. In ihrer Kombination veranschaulichen sie, wie aktives Zuhören und ein bewusster Versuch, physische und metaphorische Räume bewusst zu gestalten. Der Vortrag wird auf Englisch gehalten. | |
09.12.2019 |
Dr. Ulf Buermeyer, Vorsitzender der der Gesellschaft für Freiheitsrechte e.V. It's the incentives, stupid! „Strategische Verfassungsbeschwerden gegen "Staatstrojaner" — Wie die GFF für rechtliche Anreize zugunsten der IT-Sicherheit kämpft“. |
Das Niveau der IT-Sicherheit in Deutschland lässt zu wünschen übrig. Dies liegt nicht zuletzt an falschen Anreizen: Der Rechtsrahmen in Deutschland gibt Behörden wenig Anlass, Sicherheitslücken konsequent an die Hersteller zu melden. Zugleich haben Hersteller zu wenig finanzielle Anreize, konsequent in mehr Sicherheit zu investieren. Der Vortrag stellt die derzeitigen Anreizsysteme für Hersteller von Informationstechnik und staatliche Stellen dar und zeigt Perspektiven auf, wie mit kleinen Drehungen an den richtigen Stellschrauben für mehr IT-Sicherheit gesorgt werden könnte. Einen Beitrag hierzu leistet die Gesellschaft für Freiheitsrechte, die Bund und Länder mit strategischen Klagen dazu bringen möchte, einen an der IT-Sicherheit orientierten Rechtsrahmen für den Umgang mit Sicherheitslücken zu schaffen. | |
29.01.2020 |
Prof. Dr. Matthias Hollick, TU Darmstadt „Digitale Städte — Verheißung oder Bedrohung für die Zivilgesellschaft“. |
Im Jahr 2050 werden geschätzt rund zwei Drittel der Weltbevölkerung in Städten leben – nach rund 30 Prozent in 1950 und 50 Prozent in 2010. Das Wachstum der Anzahl und Größe von Städten wird durch anpassungsfähige und effiziente (kritische) Infrastrukturen ermöglicht: Energie; Transport, Verkehr und Logistik; Gesundheit; Ernährung; Wasser; Finanz- und Versicherungswesen; Staat und Verwaltung. Maßgeblich für die Anpassungsfähigkeit und Effizienz ist der ubiquitäre Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT). Gleichzeitig werden auch die nichtöffentlichen Bereiche wie Privathaushalte, der Individualverkehr sowie die Wirtschaft immer stärker von IKT durchdrungen. Hierdurch ergeben sich erhebliche Abhängigkeiten von IKT-Systemen, die mit steigender Vernetzung zunehmen. In solchen digitalen Städten ist die Funktionsfähigkeit der IKT-gestützten Infrastrukturen durch Naturereignisse, menschliches und technisches (IKT-)Versagen sowie Gewalt und Terror gefährdet. Gleichzeitig sind die Nutzer einer potentiellen dauerhaften Überwachung und Bevormundung ausgesetzt, die sich in digitalen Städten realisieren lässt. In diesem Vortrag betrachten wir Verheißungen digitaler Städte und hinterfragen diese. Wir zeigen mögliche Risiken, die sich für die Bürger ergeben, auf und skizzieren Lösungsansätze. | |
12.02.2020 |
Prof. Dr. Steffen Mau, HU Berlin „Das metrische Wir. Über die Quantifizierung des Sozialen.“ |
Ob Bildung, Gesundheit oder Konsum: Über so ziemlich jeden Aspekt unserer Person und unseres Verhaltens werden inzwischen Daten gesammelt. Schritt für Schritt entsteht so eine Gesellschaft der Sternchen, Scores, Likes und Listen, in der alles und jeder ständig vermessen und bewertet wird. Das beginnt beim alljährlichen Hochschulranking, reicht über die Quantified-Self-Bewegung fitnessbegeisterter Großstädter, die über das Internet ihre Bestzeiten miteinander vergleichen, bis hin zur Beurteilung der Effizienz politischer Maßnahmen. Der Vortrag diskutiert die Techniken und Technologien dieser Soziometrie vor dem Hintergrund der Digitalisierung und neuer Formen der Datenextraktion. Die Bewertungssysteme der quantifizierten Gesellschaft, so sein zentraler Gedanke, bilden nicht einfach die Ungleichheiten in der Welt ab, sondern sind letztlich mitentscheidend bei der Verteilung von Lebenschancen. |