Rede des Präsidenten der Universität Kassel, Prof. Dr. Finkeldey, zur Wiedereinweihung "Die Rampe"
Rede des Präsidenten der Universität Kassel, Prof. Dr. Reiner Finkeldey, zur Wiedereinweihung des Mahnmals "Die Rampe" am 5. Oktober 2017 im Wortlaut:
Sehr geehrte Frau Nele,
sehr geehrter Herr OB Geselle,
lieber Herr Krause-Villmar,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
ich freue mich, Sie alle aus Anlass der Wiedereinweihung des - so steht es in Ihrer Einladung – Kunstwerks und Mahnmals „Die Rampe“ hier, an zentraler Stelle unseres Campus, begrüßen zu dürfen. Schön, dass Sie gekommen sind.
Kunstwerk und Mahnmal – beide Begriffe stehen für mich für die Ambivalenz, die wohl jeder von Ihnen hier beim Blick auf „Die Rampe“ empfindet. Natürlich ist die Wiedereinweihung eines ohne jeden Zweifel bedeutenden Kunstwerks ein freudiges Ereignis, und doch – kann man bei Blick auf das Mahnmal von Freude sprechen, erinnert es doch an in der Geschichte der Menschheit einzigartige Gräuel? Klar ist jedoch, dass die heutige Wiedereinweihung ein wichtiges Ereignis für die Universität darstellt.
Die Rampe – ich kannte sie nur am Rande des Uni-Geländes an der Moritzstraße stehend - steht nun also wieder in der Mitte des wachsenden Uni-Campus. Tausende Studierende, Kolleginnen und Kollegen oder Besucher des Campus, werden jeden Tag an ihr vorbeigehen und – leider - teils auch fahren. Warum ist das wichtig?
Die Rampe erinnert sehr konkret an furchtbares Unrecht, welches Menschen widerfahren ist. Auch wenn die Figuren gesichtslos sind – der historische Bezug ist eindeutig. Man sieht Opfer von Gewalt – nicht abstrakt und außerhalb eines gesellschaftlichen und historischen Kontextes, sondern sehr konkret als Opfer der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft. Mit dem Fokus auf die Opfer richtet sich der Blick auf unsagbares Leid, welches wir in seinem ganzen, unfassbaren Ausmaß – man ist versucht zu sagen, Gott sei Dank! – heute kaum nachfühlen können. Indirekt geht es damit aber auch um die Täter, obgleich die im Mahnmal nicht erscheinen.
Die Verbrechen fanden auch hier statt, in Deutschland, in Kassel, auf dem Gelände der heute so friedlichen Universität, damals der Firma Henschel, also hier, wo wir jetzt stehen.
Zeitzeugen, die von den Geschehnissen der damaligen Zeit unmittelbar berichten können, wird es bald nicht mehr geben. Umso wichtiger ist es daher, die Erinnerung an das, was in der Nazi-Zeit geschah, nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Aus diesem Grund ist es also wichtig, dass die Rampe so zentral positioniert ist. Die Bedeutung des Mahnmals ergibt ich erst dadurch, dass es betrachtet wird, so wie dies nun wieder tausendfach jeden Tag geschehen wird.
Es gibt andere Mahnmale in Kassel, die an das Leid der Nazi-Zeit und des Krieges erinnern. Bald jährt sich wieder der 22. Oktober 1943, der Tag der Vernichtung des alten Kassels durch alliierte Luftangriffe im zweiten Weltkrieg. Wir alle wissen: Das Ehrenmal für die Bombenopfer auf dem Hauptfriedhof und das Mahnmal die Rampe gehören zusammen. Ohne die Verbrechen der Nazis und den von ihnen angezettelten Krieg hätte es den Luftangriff nicht gegeben.
Sind dies nicht alles Selbstverständlichkeiten, die jedem bekannt sind? Ist es daher unnötig, dem Blick überhaupt noch oder so häufig auf ein Mahnmal zu richten, welches die Verbrechen des nationalsozialistischen Terrors thematisiert? Ich habe hierzu zwei Antworten:
Das ehrende Andenken an die Opfer, Jüdinnen und Juden, Sinti und Roma, Homosexuelle und viele andere, dieser – ich muss mich widerholen – historisch einzigartigen Verbrechen allein macht es gerade den Deutschen zu einer Pflicht, nicht zu vergessen. Die schwierigen Themen der Schuld von uns, den nach 1945 Geborenen, oder der Möglichkeit oder Unmöglichkeit von Vergebung werden von dieser Aussage nicht einmal tangiert. Das Vergessen oder Verschweigen von dem, was in der Nazi-Zeit geschah, würde uns, die heutige Generation, auf jeden Fall zu Schuldigen machen.
Ist also dieser in die Vergangenheit gerichtete Blick allein schon hinreichend, die Bedeutung der Rampe an diesem Standort zu betonen, so kommen uns natürlich auch Gedanken an die Zukunft. Jüngste politische Entwicklungen in Deutschland, Europa und weltweit zeigen, dass Wachsamkeit vor zunächst vielleicht noch recht harmlos daherkommenden „rechten“ Gedankengut geboten ist. Trotz der historischen Einmaligkeit des nationalsozialistischen Terrors gilt es hier, Flagge zu zeigen; wehret den Anfängen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
Es gehört zu den traurigsten Ereignissen der Kasseler Vergangenheit, dass die Gefahren und das Gewaltpotenzial der rechten Szene sich nur wenige hundert Meter von hier brutal manifestierten. Die Ermordung von Halit Yozgat im Jahr 2006 durch die Terrorgruppe NSU zeigt was passiert, wenn rechte Gewalt unterschätzt wird. Auch das kleine Mahnmal am Halitplatz hängt so unmittelbar mit der Rampe zusammen und auch Halit Yozgat darf nicht vergessen werden.
Lassen Sie mich mit einem herzlichen und aufrichtigen Dank schliessen:
Ich danke natürlich an erster Stelle Ihnen, Frau Nele, herzlich für die Schaffung des Kunstwerks und Mahnmals „Die Rampe“.
Ich danke allen, die in unterschiedlicher Funktion dazu beigetragen haben, dass die Rampe bei der Universität aufgestellt wurde und ich nenne hier stellvertretend für Viele Ihren Namen, lieber Herr Krause-Villmar.
Schließlich danke ich auch sehr herzlich all denen, die dafür gesorgt haben, dass die Rampe nun hier zwischen Campus-Center und LEO steht, und natürlich auch Ihnen allen für Ihre Aufmerksamkeit.
Zum Hintergrund:
Im Beisein der Künstlerin ist am 5. Oktober das Mahnmal „Die Rampe – Ankunft und Ende“ an der Universität Kassel offiziell wieder eingeweiht worden. Das Werk von E.R. Nele erinnert an Verbrechen in der Zeit des Nationalsozialismus und steht seit kurzem an seinem endgültigen Ort vor dem Lernzentrum LEO, im neuen Herzen des Campus Holländischer Platz.
Der Standort und die Details des Arrangements der Figuren waren eng mit der renommierten Künstlerin abgesprochen. 2011 war die „Rampe“ wegen des Ausbaus der Universität und der Umgestaltung des Campus vorübergehend versetzt worden. Nachdem die Bauarbeiten rund um das LEO weitgehend beendet sind, wurde das Mahnmal im Sommer sukzessive an den neuen, dauerhaften Standort an der Moritzstraße unmittelbar vor dem LEO versetzt, letzte Arbeiten wurden im Spätsommer abgeschlossen.
Das Mahnmal besteht aus mehreren gesichtslosen Figuren aus Bronze, die aus einem Original-Waggon der Reichsbahn herausstürzen. Es erinnert an die Deportation und folgende Ermordung von Menschen – Juden und anderen – aus Kassel und die Verschleppung von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern in der NS-Zeit. Der Campus Holländischer Platz befindet sich zum großen Teil auf einem ehemaligen Werksgelände der Firma Henschel, die in den Kriegsjahren massiv Zwangsarbeiter einsetzte.