Integrativer Naturschutz
Vor dem Hintergrund des anstehenden Post-2020 Global Diversity Framework (GBF), das neue Leitlinien für das Management von Natur bis 2030 setzen soll, haben Dr. Miguel Ángel Cebrián-Piqueras und Prof. Tobias Plieninger vom Fachgebiet „Sozial-ökologische Interaktionen in Agrarsystemen“ der Universitäten Kassel und Göttingen gemeinsam mit einer internationalen Gruppe von 25 Forschern im Rahmen des ENVISION-Projekts die Hindernisse und Wege hin zu einem gerechten und fairen Schutzgebietsmanagement erforscht.
Unter der Leitung von Prof. Christopher Raymond von der Swedish Agricultural University veröffentlichten sie die Ergebnisse ihrer Arbeit kürzlich im Journal One Earth. Mit Blick auf die Ziele des GBF, die Vorteile der Natur fair und gerecht zu verteilen (Ziel #13) und eine gerechte und wirksame Entscheidungsfindung im Bereich der biologischen Vielfalt zu sichern (Ziel #21), werden hier Spannungen und Perspektiven der sogenannten „inclusive conservation“ beschrieben. Um diese zu fördern, müssen den Forscher:innen zufolge bestimmte Spannungen, die weltweit mit ihrer Umsetzung verbunden sind, anerkannt und adressiert werden:
- Das erste Spannungsverhältnis bezieht sich auf die Frage, ob integrativer Naturschutz an den Grenzen von Schutzgebieten enden oder einem landschaftsbezogenen Ansatz folgen sollte: "Während die Idee eines Schutzgebiets klare Grenzlinien vorsieht, tragen sektor-, grenz- und landschaftsübergreifende Managementansätze den Realitäten unserer vernetzten Welt besser Rechnung", so Prof. Tobias Plieninger.
- Wenn es um die Einbeziehung vieler Interessengruppen geht, steht das Naturschutzmanagement vor dem komplexen Problem, einen Ausgleich zu schaffen zwischen vielfältigen Visionen für die Natur und von deren Werten. Hier besteht die Herausforderung darin, Zielkonflikte zu reduzieren, ohne über die bestehende Pluralität hinwegzugehen.
- Was gilt als evident und wie kann diese Evidenz systematisch zusammengetragen und präsentiert werden, um Entscheidungsfindungen zu stützen? In diesem Spannungsfeld geht es um die notwendige Einbindung von lokalem und Erfahrungswissen in das dominante westliche Wissenssystem. "Hier ist eine Reform überfällig und würde das Naturschutzmanagement im Hinblick auf Gerechtigkeit und Fairness einen großen Schritt voranbringen", argumentiert Dr. Miguel Ángel Cebrián-Piqueras.
- Schließlich besteht ein Spannungsverhältnis zwischen der Anerkennung widersprechender Stimmen, deren Achtung für nicht-exklusive Naturschutzansätze so wichtig ist, und der Notwendigkeit, Konsens anzustreben. "Die Suche nach Konsenspunkten und die Anerkennung von Meinungsverschiedenheiten gehen in der Regel auf Kosten der jeweils anderen", so Prof. Christopher Raymond.
Um diese Spannungen anzuerkennen, abzumildern und, wo möglich, neu zu gestalten, stellen die Forscher:innen ein Governance Framework vor, das auf Fallbeispielen des Managements von Schutzgebieten in Schweden, den Niederlanden, den Vereinigten Staaten und Spanien beruht. Darin empfehlen sie für ein integratives Schutzgebietsmanagement, (1) Hybridität und vielschichtige Spannungen anzuerkennen, (2) Bedingungen für Reflexivität zu schaffen und (3) neue Partnerschaften im Naturschutzmanagement anzustreben. Dieses Framework kann das Engagement von Interessensgruppen beim Schutzgebietsmanagement fördern und so letztlich zu einer besseren Umsetzung der globalen Biodiversitätsziele beitragen.
Vollständiges Paper:
Raymond et al. Inclusive conservation and the Post-2020 Global Biodiversity Framework: Spannungen und Aussichten, One Earth (2022), doi.org/10.1016/j.oneear.2022.02.008