01.06.2022 | Porträts und Geschichten

Zukunft im Glas

Für Grünen Wasserstoff braucht es vielleicht gar keine Erneuerbare Energie. Ein Bakterium könnte reichen.

Prof. Gutekunst an einem Schrank mit Kulturen von Cyano-Bakterien. Bild: Sebastian Mense für Uni Kassel.
Prof. Gutekunst an einem Schrank mit Kulturen von Cyano-Bakterien.

Vor 2,5 Milliarden Jahren erwiesen die Cyano-Bakterien der Erde einen großen Dienst: Sie erfanden die Fotosynthese. Die Einzeller füllten die Atmosphäre des jungen Planeten dadurch mit Sauerstoff, sorgten für die Ozonschicht, brachten die Evolution in Schwung und ermöglichten – viel später – menschliches Leben. „Jetzt müssen wir sie noch einmal um einen Gefallen bitten“, sagt Kirstin Gutekunst.

Diesmal ist die Sache etwas eiliger. Gutekunst, die seit 2021 eine Professur für Pflanzenphysiologie hat, sucht zusammen mit ihrem Team nach Wegen, den Bakterien Wasserstoff abzuluchsen. Mit Wasserstoff verbinden sich große Hoffnungen: In ihm lässt sich Energie speichern, leicht transportieren und in Brennstoffzellen freisetzen – abgesehen von reinem Wasser fallen dabei keine Rückstände an. Er ist, so nennt es die Bundesregierung, das „Schlüsselelement“ für die Energiewende, die die mittlerweile überhitzte Atmosphäre vor weiterem Schaden bewahren soll. Zahlreiche Forschungsprojekte arbeiten daran, Wasserstoff mithilfe von Erneuerbaren Energien emissionsfrei und günstig herzustellen und damit „grün“ und marktreif zu machen.

Die Idee von Kirstin Gutekunsts Team ist noch einfacher: Statt auf Photovoltaik oder Windkraft setzt es bei der Produktion von Wasserstoff auf die Natur, auf die Milliarden Jahre lang erprobte Photosynthese der Cyano-Bakterien. Wie Bauern Milchvieh halten, so die Vorstellung, könnten Menschen einst Cyano-Populationen kultivieren, die das begehrte Gas für unsere Brennstoffzellen produzieren. Doch dafür muss man die Bakterien überlisten.

Die Farm von Kirstin Gutekunsts Fachgebiet befindet sich im dritten Stock des AVZ in Oberzwehren und blubbert leise. Reihen großer gläserner Röhren werden in Spezial-Schränken im Tag-Nacht-Rhythmus beleuchtet und mit Kohlendioxid versorgt. Darin leuchten Populationen verschiedener Cyano-Stämme in Schattierungen von Blau und Grün – früher nannte man die Bakterien „Blaualgen“, bis man entdeckte, dass sie keinen echten Zellkern besitzen und deshalb als Eukaryoten ausscheiden. Dennoch tun sie das, was Pflanzen tun, sie produzieren Zucker und Sauerstoff aus Kohlendioxid, Wasser und Sonnenenergie – die Fotosynthese bildet den Grundstein für jegliches Leben. „Alles was wir essen, alles was wir im Tank verbrennen, alle Atemluft geht darauf zurück“, ruft Gutekunst in Erinnerung.

Wie Pflanzen, so schalten auch die Cyano-Bakterien nachts, wenn sie kein Sonnenlicht zur Verfügung haben, den Vorgang um und bauen produzierten Zucker ab. Dabei werden Elektronen frei, die als Abfall entsorgt werden müssen. Das ist übrigens bei uns Menschen nicht anders: Wir bauen mit diesen Elektronen Wasser, das wir dann ausatmen. Die Bakterien hingegen entsorgen diese Elektronen nachts teilweise in Form von Wasserstoff, sogenanntem fermentativen Wasserstoff. Aber auch in einem kurzen Moment zwischen Dunkelheit und Lichteinfall wird Wasserstoff produziert, sogenannter fotosynthetischer Wasserstoff. Und zwar folgendermaßen: Beim „Aufwachen“ starten die Bakterien sofort die Photosynthese. Dabei spalten sie Wasser an ihren Fotosystemen und setzen neue Elektronen frei. Doch der Abnehmer für die Elektronen, der sogenannte Calvin-Benson-Zyklus der CO2–Fixierung, benötigt noch einen Moment um anzulaufen. In dieser Situation stauen sich Elektronen. Die Bakterien lagern diese Elektronen zwischen, indem sie H+ -Protonen zu H2-Molekülen reduzieren – molekularem Wasserstoff, den man, so die Idee, „abzapfen“ könnte. Das Problem: Diese Phase dauert weniger als eine Minute. Problem Nummer zwei: Danach bauen die Bakterien diesen Wasserstoff selbst wieder ab, um die gespeicherte Energie zu nutzen. Doch Kirstin Gutekunst und ihr Team haben einen Plan.

Denn für die Produktion des Wasserstoffs nutzen die Bakterien einen Katalysator, die sogenannte Hydrogenase. Mit einigen Manipulationen an der Hydrogenase hat die Professorin das „Aufwach-Fenster“ auf mehrere Stunden ausgedehnt und so die Wasserstoff-Produktion vervielfacht. Noch gibt es unerwünschte Nebeneffekte, die den Prozess hemmen oder verwässern. Viel Forschung ist nötig, um den Prozess vielleicht einmal praktikabel und wirtschaftlich zu machen, Studien mit verschiedenen Katalysator-Mutationen, Bakterienstämmen, Umweltbedingungen. Gelingt es, kann man sich wunderbare Schlagzeilen vorstellen, die das Fachgebiet damit produzieren würde.

Weltweit sucht die Wissenschaft nach Wegen, die Fotosynthese zu nutzen, sie nachzubauen, damit Wasserstoff zu produzieren und zu speichern. „Wir sind glücklicherweise nicht die einzigen“, meint Gutekunst. Selbst wenn die Oberzwehrener Forschungsgruppe nur einen kleinen Baustein zum Verständnis des Cyano-Stoffwechsels beisteuert, ist das ein Beitrag zu einem großen Ziel. Gutekunst ist entschlossen: „Wir müssen es einfach versuchen.“ 

 

Sebastian Mense
Dieser Text ist aus der publik 2/2022 vom 14. Juni 2022