Nachhaltig lernen statt „Bulimielernen“: Neue DFG-Forschungsgruppe
Viele kennen das Phänomen aus eigener Erfahrung aus ihrer Schul- oder Studienzeit: Kurz vor der Prüfung wird auf Teufel komm raus gelernt, kurz nach der Prüfung ist ein Großteil des Gelernten wieder vergessen. „Bulimielernen“ nennen manche dieses Verhalten auch – besonders nachhaltig ist diese Form des Lernens nicht.
4,2 Millionen für die kommenden vier Jahre
Wie es anders geht, welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit Lernen nachhaltiges Wissen erzeugt, auf das man noch lange zugreifen kann: Mit diesen Fragen beschäftigt sich eine neue Forschungsgruppe, die die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) jetzt bewilligt hat. Ausgestattet mit 4,2 Mio. Euro will sie in den kommenden vier Jahren einen wesentlichen Beitrag zur Entwicklung effektiver Lehr-Lernszenarien und einer Theorie des nachhaltigen Lernens in Bildungskontexten leisten. Eine Verlängerung um weitere vier Jahre ist möglich.
Sprecher der Gruppe ist Professor Dr. Tobias Richter, Inhaber des Lehrstuhls für Psychologie IV der Julius-Maximilians-Universität Würzburg und vormals Professor für Allgemeine Psychologie an der Universität Kassel. Weiterhin beteiligt sind Forscherinnen und Forscher der Universitäten Kassel, Bochum, Duisburg-Essen, Freiburg, Gießen, Osnabrück, Passau, Tübingen und der TU München.
Wenig Forschung zum nachhaltigen Lernen
„Vieles von dem, was in der Schule gelernt wird, kann bereits nach relativ kurzer Zeit nicht mehr aus dem Langzeitgedächtnis abgerufen werden. Wir verstehen nachhaltiges Lernen als eine Form des Lernens, das einem schnellen Vergessen des erworbenen Wissens entgegenwirkt und Schülerinnen und Schüler in die Lage versetzt, das erworbene Wissen auch später noch anzuwenden“, beschreibt Richter. Im Idealfall bleibt dieses Wissen ein Leben lang erhalten. „Es gibt leider kaum systematische Forschung – geschweige denn eine umfassende Theorie –, aus der sich Empfehlungen ableiten ließen, wie Lernen und Unterricht in der Schule gestaltet werden sollten, um nachhaltiges Wissen zu schaffen“, sagt Richter.
Wünschenswerte Erschwernisse verbessern den Lernerfolg
Die Forschungsgruppe soll nun dazu beitragen, diese Wissenslücke zu schließen. Dafür stützt sie sich auf ein Rahmenmodell, das die Forschung zu sogenannten „wünschenswerten Erschwernissen“ beim Lernen mit dem Prinzip des „sinnvoll eingebetteten Lernens“ verbindet. Solche Erschwernisse erschweren zwar kurzfristig das Lernen, langfristig aber fördern sie das Behalten und den Transfer des Gelernten.
Die Universität Kassel beteiligt sich mit vier Teilprojekten an der Forschungsgruppe. Prof. Dr. Rita Borromeo Ferri (Institut für Mathematik) und Prof. Dr. Frank Lipowsky (Institut für Erziehungswissenschaften) untersuchen das Prinzip des verschachtelten Lernens im Fach Mathematik in der Grundschule. Beim verschachtelten Lernen geht es darum, Lerninhalte nicht nacheinander abzuhandeln, sondern miteinander abzuwechseln. Prof. Dr. Martin Hänze (Institut für Psychologie) und Prof. Dr. Roland Berger von der Universität Osnabrück erforschen ebenfalls das verschachtelte Lernen, allerdings im Fach Physik in der Sekundarstufe. Prof. Dr. Ralf Rummer (Institut für Psychologie) und Prof. Dr. Judith Schweppe von der Universität Passau beschäftigen sich mit dem Testungseffekt im Fach Deutsch. Der Testungseffekt besagt, dass der Wissensabruf bereits in der Lernphase das langfristige Behalten fördert. Prof. Dr. Mirjam Ebersbach (Institut für Psychologie) erforscht den Effekt der zeitlich verteilten Bearbeitung von Lösungsbeispielen im Fach Mathematik. Verteiltes Lernen im Vergleich zum Lernen am Stück soll ebenfalls zum nachhaltigen Lernen beitragen. Alle Studien sollen an Schulen in und um Kassel mit lehrplanrelevanten Unterrichtsinhalten durchgeführt werden.
Mirjam Ebersbach erläuterte: „Mit unserem innovativen Ansatz, Lehr- und Lernmechanismen, die sich im Labor als effektiv erwiesen haben, mit kognitiv aktivierenden Prinzipien zu „boostern“ und die Effekte im Schulsetting zu untersuchen, werden wir wichtige Erkenntnisse für Theorie und Praxis gewinnen. Zudem stärken wir die internationale Sichtbarkeit der empirischen Bildungsforschung der Universität Kassel.“
Kontakt
Prof. Dr. Mirjam Ebersbach
Universität Kassel
Institut für Psychologie
Telefon +49 561 804-2036
E-Mail mirjam.ebersbach[at]uni-kassel[dot]de