13.06.2024 | Porträts und Geschichten

Trump, Biden, Wahlkampf: "Ich sehe keine Polarisierung"

Die Welt blickt (mal wieder) gebannt auf den Wahlkampf in den USA. Das Uni-Magazin publik sprach mit dem Amerika-Experten Prof. Dr. Mischa Honeck über die Gründe für den "Bürgerkrieg in Zeitlupe".

Prof. Dr. Mischa Honeck.Bild: Studioline.
Prof. Dr. Mischa Honeck hat an der Uni Kassel eine Professur für die Geschichte Großritanniens und Nordamerikas.

Noch in den 90ern hieß es, Politik in den USA sei weniger ideologisch als in Europa. Republikaner stimmten auch mal mit Demokraten und umgekehrt. Heute kaum noch vorstellbar.

Richtig, dieses „reaching across the aisle“ stand für die Funktionsfähigkeit des politischen Systems der USA. Es war das Jahrzehnt nach dem Kalten Krieg. Aber das ist lange vorbei.

Was ist passiert?

Wenn Sie genauer hinschauen, sehen Sie, dass die Ideologisierung damals schon in vollem Gange war. Der Konsens zwischen den Demokraten und Republikanern erstreckte sich damals vor allem auf die Außenpolitik. Man verspürte ein Triumphgefühl nach dem Sieg über den Kommunismus und sah sich einhellig in der Rolle der Ordnungsmacht. Die Interventionen im ehemaligen Jugoslawien oder im Irak wurden von Vertretern beider Parteien mitgetragen. Aber innenpolitisch zeichneten sich schon die Gegensätze von Stadt und Land, von „blauen“ und „roten“ Staaten ab. Das Land stritt über Themen wie Abtreibung, die Emanzipation von Homosexuellen, Multikulturalismus, Political Correctness. Das hatte noch nicht diesen drastischen Ton wie heute, aber ein Politiker wie Newt Gingrich, der 1995 als Gegenspieler von Bill Clinton Sprecher des Repräsentantenhauses wurde, sagte dem liberalen Amerika offen den Kampf an.

Aber warum? Wieso veränderte sich das politische Klima dermaßen?

In den Jahren vor dem Zusammenbruch der Sowjetunion standen die Amerikaner geschlossen gegen den Kommunismus. Mitte der Neunzigerjahre geschahen zwei Dinge: Man wandte sich erstens wieder innenpolitischen und gesellschaftlichen Themen zu. Und zweitens änderte sich die Medienlandschaft fundamental. 1996 ging der konservative Fox News Channel auf Sendung, mit dem Geschäftsmodell, den politischen Gegner fertig zu machen – wirtschaftlich geradezu eine Goldgrube. Als Reaktion entstanden neue ausgesprochen linke Medien. Die Schnittmenge dessen, was allgemein als wahr oder gültig angesehen wurde, schrumpfte. Als Brandbeschleuniger kamen später die digitalen Medien mit ihrer Blasenbildung hinzu.

Nicht nur in der digitalen Welt bilden sich Blasen. Aus Amerika wird berichtet, man lebe in verschiedenen Welten, höre unterschiedliche Musik, wohne in verschiedenen Vierteln, besuche liberale oder fundamentalistische Gemeinden...

Das ist richtig, aber das ist keine komplett neue Situation. Denken Sie an die rassistischen Segregationsgesetze bis in die Sechzigerjahre. Neu ist, dass die weiße Mittelklasse schrumpft. Diejenigen, die sich als idealtypische Amerikaner sehen, erleben wegen der Deindustrialisierung und der Globalisierung ein böses Erwachen. Das löst heftige Gegenreaktionen aus.

 

„Ein Bürgerkrieg in Zeitlupe“

Wann haben Sie sich zuletzt ein Bild von der Lage in den USA gemacht?

Ich war Ende 2022 auf Forschungsreise. Mein Eindruck: ein Land, gereizt und erschöpft von der Pandemie und vom Dauerfeuer des Streits. Der Sturm auf das Kapitol im Jahr zuvor war noch lange nicht verdaut. Der Schriftsteller Jeff Sharlet hat diesen Zustand als „Bürgerkrieg in Zeitlupe“ beschrieben. Das finde ich sehr treffend.

Was für eine Rolle spielen die amerikanischen Universitäten? Die Ivy League ist zuletzt ja in heftige Turbulenzen geraten.

Viele Universitäten sind Bastionen progressiver Lebenswelten. Sie bringen linksliberale Haltungen hervor, die den Machtanspruch des traditionellen weißen Amerikas infrage stellen. Dieses reagiert mit harten Anfeindungen.

Die Entfremdung von städtisch-akademischen und ländlich-nichtakademischen Milieus, so habe ich kürzlich einmal gelesen, liege auch daran, dass die meisten Studierenden in Wohnheimen auf dem Campus oder in unmittelbarer Nähe wohnen. Man entkoppele sich sozusagen vom Alltag der normalen Leute.

Da mag etwas dran sein. Wer sich vom Land aufmacht, um zu studieren, tauscht quasi über Nacht seine Netzwerke aus und löst sich in weltanschaulichen Fragen von der nicht-akademischen Welt. Umgekehrt müssen sich viele Studierende zuhause oft anhören, sie würden an den Hochschulen indoktriniert. Das fördert sicherlich ein gewisses Lagerdenken.

Sie sind Historiker – welche Einflüsse haben lang zurückliegende Faktoren wie der Puritanismus mit seiner Kompromisslosigkeit oder der amerikanische Bürgerkrieg mit seiner Nord-Süd-Spaltung?

Eine Spätwirkung des Puritanismus sehe ich nicht. Unser Bild auf diese religiöse Strömung ist ohnehin eine erfundene, literarisch gestaltete Tradition. Aber der Bürgerkrieg des 19. Jahrhunderts wirkt in der Tat nach. Es gibt eine geteilte Erinnerung: Viele Menschen im Süden klammern sich an eine Geschichtslüge. Sie sind der Meinung, die Südstaaten hätten für eine gute Sache gekämpft, nämlich für lokale oder regionale Selbstbestimmung gegen eine übergriffige Politik des Nordens. Sie sehen schon, das ist problemlos anschlussfähig für Donald Trumps Kampagnen. Beim Sturm auf das Kapitol Anfang 2021 war auch die Flagge der Konföderation, also der Südstaaten, zu sehen.

In den Südstaaten hatten über Jahrzehnte die Demokraten die Vorherrschaft, und zwar als konservative, agrarische Partei. Die Republikaner galten als Vertreter des modernen Nordens. Das hat sich komplett gedreht.

Ja, man spricht vom „Southern Realignment“. Die amerikanischen Parteien waren nie klassische Programmparteien, sondern Verbindungen, in denen sich Interessengemeinschaften bildeten. In den Sechzigerjahren dann setzte der linke Flügel durch, dass sich die Demokraten auf die Seite der Bürgerrechtsbewegung stellten. Das war ein entscheidender Moment. Die konservativen Anhänger wechselten zu den Republikanern, die sich ihrerseits immer weiter rechts positionierten und wie beschrieben in den Neunzigerjahren dann immer radikaler wurden. Den Begriff Polarisierung halte ich allerdings für falsch. Ich sehe keine Polarisierung.

Nicht?

Polarisierung würde ja bedeuten, dass es eine gewisse Symmetrie gibt: Die Rechten werden rechter, die Linken werden linker. Wenn Sie sich aber die Positionen der Demokraten anschauen, stellen Sie fest, dass die sich in den letzten 30 Jahren gar nicht so stark verändert haben.

Weil deren Wandel bereits in den Sechzigern stattgefunden hat?

Wenn Sie so wollen. Die Republikaner hingegen wurden zunächst zu einer durchaus staatstragenden Partei des Big Business. Seit 20 Jahren entwickeln sie sich jedoch zu einer nationalistischen, ich möchte fast sagen in Teilen faschistoiden Bewegung, die nicht verheimlicht, dass sie von einem autokratischen Jahrhundert träumt.

 

„Sonst fährt der Karren an die Wand“

Gab es eine so große Bedrohung für die amerikanische Demokratie schon einmal?

Da wird gerne der amerikanische Bürgerkrieg genannt. Aber natürlich wird es selbst nach einem Sieg von Trump bei den Wahlen im November keine Feldschlachten geben. Dafür tobt der schon zitierte Bürgerkrieg in Zeitlupe, der einen zerrissenen, dysfunktionalen Staat und auch das Wegfallen einer Ordnungsmacht bedeuten würde. Darüber sollte sich niemand freuen.

Wird es freie und faire Wahlen geben – in vier Jahren?

Das weiß nur die Kristallkugel.

Biden ist Jahrgang 1942, Trump 1946. Was kommt nach ihnen?

Es ist eine biologische Zwangsläufigkeit, dass es eine Zeit danach gibt. Wir haben aber nicht nur sehr alte Bewerber um das Präsidentenamt, wir haben auch eine Wählerschaft, die immer älter wird. Andererseits ändert sich die Welt immer rasanter. Dieses Spannungsverhältnis zwischen beschleunigtem Wandel und einer alternden Gesellschaft wird bleiben. Viele sind erschöpft. Von den Umbrüchen und von dem, was bei ihnen persönlich davon angekommen ist. Manch einer musste ungewollt umziehen, manche Karrieren sind zu Bruch gegangen, manche Ehen. Und dann kommen die Vereinfacher und bieten simple Lösungen und schüren Ressentiments.

Ich hatte mir als letzte Frage aufgehoben, ob uns diese Entwicklungen – wie so viele – auch in Europa ereilen werden. Aber wir sind schon mittendrin in der Antwort.

Was ich eben beschrieben habe, sind transnationale Phänomene. Man muss den Menschen in diesen unsicheren Zeiten etwas Konstruktives anbieten statt etwas Destruktives. Wenn ich das so sagen darf: Da sind wir alle, gerade in der Wissenschaft, kommunikativ gefordert. Sonst fährt der Karren an die Wand.

 

Das Gespräch führte Sebastian Mense.
Es erschien in der Ausgabe 2/2024 der publik.