Wintersemester 2017/18
Seminar
Dienstags 14-16 Uhr
Ort: tba
Die Geschlechtergeschichte wird häufig als Patin für das noch junge Feld der Tiergeschichte herangezogen. Dies gilt einerseits für methodische Überlegungen zur Quellenbeschaffung andererseits für die theoretischen Grundsätze zur Darstellung des historisch „Anderen“ und Unterdrückten. Gleichzeitig ist auffällig, dass die Tiergeschichte, wenn auch bloß implizit, Fragen über Geschlecht mitverhandelt, sei es um sozialgeschichtliche Themen von öffentlichem und privatem Raum in der Entwicklung der Heimtierhaltung zu diskutieren oder tierethische Einordnungen, z. B. Mitleidskonzeptionen historisch einzuordnen. In der Tat drängen sich aber insbesondere bei der Betrachtung des „bürgerlichen“ 19. Jahrhunderts Fragen nach dem Zusammenhang von geschlechtlicher Kategorisierung und der gesellschaftlichen Stellung der Tiere geradezu auf. Vor allem die Verquickung von erster Frauenbewegung und organsiertem Tierschutz, zumindest in Großbritannien, lädt dazu ein, historische Tier-Mensch-Verhältnisse geschlechtergeschichtlich zu perspektivieren. Dies trifft ebenso für die geschlechtsspezifische und geschlechterstereotype Zuordnung bestimmter Spezies und Arten zu, die sich im 20. Jahrhundert noch weiter ausdifferenzieren und zum Beispiel in der Konstruktion des „Pferdemädchens“ münden.
Zielsetzung
Ziel des Seminars wird es sein, die verschiedenen Ebenen geschlechtergeschichtlicher Annäherungen innerhalb der Tier-Mensch-Beziehungsgeschichte auszuloten. Es werden also sowohl ganz konkrete historische Phänomene, wie die Frauenwahlrechtsbewegung oder der Ökofeminismus der 1980er Jahre auf spezifische Verhandlungen von Tier-Mensch-Verhältnisse hin befragt und anderseits die theoretischen Deutungsangebote, die etwa von Donna Haraway oder Carol J. Adams für den Zusammenhang von Gender und Spezies unterbreitet worden sind, kritisch eingeordnet. Dabei wird auch auf die Bedeutung der Intersektionalitätsforschung für die Geschichtswissenschaften eingegangen werden. Hier wird das besondere Augenmerk auf der Frage liegen, wie sehr auch Spezies, genauso wie Geschlecht, als kulturelle Praxis historisch inszeniert wurde und noch wird.
Anmerkungen
Die Bereitschaft auch längere englischsprachige Texte zu lesen, wird vorausgesetzt.
Literatur zur Vorbereitung
- Mieke Roscher, Engagement und Emanzipation. Frauen in der Englischen Tierschutzbewegung, in: D. Brantz/ C. Mauch (Hrsg.), Tierische Geschichte. Die Beziehung von Mensch und Tier in der Kultur der Moderne, Paderborn 2010, S. 286-30.
- Susan Fraiman, Pussy panic versus liking animals: Tracking gender in animal studies, in: Critical Inquiry 39.1 (2012), S. 89-115.
- Carola Sachse, Tiere und Geschlecht. "Weibchen oder "Männchen"? Geschlecht als Kategorie in der Geschichte der Beziehungen von Menschen und anderen Tieren, in: Gesine Krüger et al. (Hrsg.), Tiere und Geschichte. Konturen einer Animate History, Stuttgart 2015, S. 79-104.
Seminar mit Exkursion
Rassistische Ausgrenzungsphänomene, die ihre eliminatorische Wirkmacht insbesondere im Nationalsozialismus entfaltet haben, resultierten primär in der Vernichtung des Anderen, des Unerwünschten, oder, um im Diskurs der Tierzucht zu sprechen, seiner Ausmerzung. Neben dieser Ausmerzung des Ungewollten basiert auch die sogenannte positive Eugenik, also die „Veredelung“ von Erbmaterial, direkt auf Überlegungen zur Tierzucht. Mehr noch, die Debatten um Menschen- und Tierzucht wurden im 19. und 20. Jahrhundert stets parallel geführt. Tiere und Menschen waren hier gleichermaßen Bestandteil gesellschaftlicher Ausleseprozesse. Der Fokus auf die Tierzucht sollte hier Verständnis wecken für die Methoden, die vor allem in der „Rassenhygiene“ angewendet werden sollten. Die bahnbrechenden naturwissenschaftlichen Erkenntnisse von Darwin oder Mendel, die ihr Wissen ebenfalls vor allem durch Beobachtungen der Tierwelt erworben hatten, fanden schon früh glühende Anhänger sozialhygienischer Couleur. Die rassepolitischen Vorschläge eines Richard Walther Darrés etwa basierten auf dem Studium der Tierzucht und der biologischen Erbwissenschaften des 19. Jahrhunderts. Unter dem Eindruck dieser Erkenntnisse nahm insbesondere die Tierzucht um die Jahrhundertwende enorme Fahrt auf. „Rasse“ wurde so über die Verwendung von Tierkörpern praktisch hergestellt.
Lernziele
Das Seminar verbindet Wissenschaftsgeschichte, Tiergeschichte und die Geschichte des Rassismus und fragt nach den jeweiligen Potentialen, die unterschiedliche historische Betrachtungsweisen auf den Erkenntnisgegenstand bringen. Ziel ist es, einen Einblick in die Geschichte von Tierzucht und Eugenik im 19. und 20. Jahrhundert zu vermitteln, die wichtigsten Vertreter der wissenschaftlichen Eugenik und ihre Auswirkungen auf züchterische und eliminatorische Diskurse kennenzulernen und diese insbesondere mit Hinblick auf nationalsozialistisches Denken zu reflektieren. Das Seminar verbindet jedoch ebenso die Betrachtung unterschiedlicher Quellengattungen, zu denen neben Texten und Bildern eben auch taxidermierte Tiere gehören. Diese werden während einer zweitägigen Exkursion zur haustierkundlichen Sammlung der Universität Halle auch erkundet. Ziel der Exkursion ist es, solche Sammlungen „lesen“ zu lernen und in den historischen Kontext einzuordnen. Weiterhin soll hier vermittelt werden, welche Unterschiede in Recherche, Archivaufbewahrung, Konservierung und Nutzung zwischen herkömmlichen Textquellen und naturwissenschaftlichen Sammlungsobjekt bestehen.
Anmerkungen
Das Seminar wird 14-tägig stattfinden. Die Teilnahme an der 2-tägigen Exkursion im Januar 2018 ist obligatorisch.
Literatur zur Vorbereitung
- Peter Weingart, Jürgen Kroll, Kurt Bayertz, Rasse, Blut und Gene: Geschichte der Eugenik und Rassenhygiene in Deutschland, Frankfurt am Main 1992.
- Boris Barth, Tiere und Rasse: Menschenzucht und Eugenik, in: Gesine Krüger et al. (Hrsg.), Tiere und Geschichte. Konturen einer Animate History, Stuttgart 2014, S. 199-218.
- Mieke Roscher, Das nationalsozialistische Tier: Projektionen von Rasse und Reinheit im Dritten Reich, in: TIERethik. Themenschwerpunkt „Menschen, Tiere, Projektionen“ 2 (2016) 13, S. 30-48.