Forschungsprofil des FB 02
F. Schleiermacher, Kurze Darstellung des theologischen Studiums, 2. Aufl. 1830, § 132.
Das vollkommene Verstehen einer Rede oder Schrift ist eine Kunstleistung, und erheischt eine Kunstlehre oder Technik, welche wir durch den Ausdrukk Hermeneutik bezeichnen.
Forschungsprofil des Fachbereichs Geistes- und Kulturwissenschaften
Die sehr differenzierte geisteswissenschaftliche Fächerkultur des Fachbereichs hat zu einer vielfältigen Forschungslandschaft geführt. In dieser Breite der Themen und Methoden, die keinesfalls auf wenige Leitbegriffe reduzierbar ist, sehen wir ein Profilmerkmal unserer Forschungskultur.
Charakteristisch sind dabei agile Formate des Forschungsdesigns. Im Gegensatz zu engmaschig vorgeplanten und deswegen fremdbestimmt anmutenden Großprojekten oder hochkomplexen und somit trägen Verbundforschungsapparaten beruhen sie auf individuell überschaubaren, nahezu unhierarchischen und daher schnell reaktionsfähigen Strukturen. Solche für das fortgeschrittene 21. Jahrhundert zeitgemäß schlanken Architekturen gewährleisten, dass die Forschungskapazitäten des FB 02 nicht durch umfangreiche Antrags-, Koordinations- oder Berichtsaufgaben blockiert werden, sondern nahezu ungeschmälert dem wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Fortschritt zugutekommen. Moderne Prinzipien wie u.a. schonender Umgang mit den gegebenen Forschungsressourcen, strikt problemorientierte Interdisziplinarität oder binnenstrukturelle Sparsamkeit sind leitend für die zielgenaue und daher effektive Forschungskultur des Fachbereichs Geistes- und Kulturwissenschaften.
Gleichwohl ist der Fachbereich auch in zwei hochschulweite Forschungsschwerpunkte eingebunden, in denen mehrere seiner Fachgebiete fachbereichsübergreifend und interdisziplinär zusammenarbeiten: in der Kultur- und Geschlechterforschung sowie in der Empirischen Bildungsforschung. Weitere Schwerpunktsetzungen ergeben sich unter den Oberbegriffen „Textwissenschaft und Textkompetenz“, „Mehrsprachigkeitsforschung“ sowie in der Forschung zum Werk und Wirken der Brüder Grimm.
Forschungsschwerpunkte am FB 02
Veröffentlichungen des Fachbereichs
Vanessa-Nadine Sternath / Silvie Lang / Christine Riess (Hg.): Menschen-Pflanzen-Netzwerke. Vegetabile agency in der Klimakatastrophe. Bielefeld: transcript 2025 (= Climates - Cultures - Contexts 2).
Im Kontext der Klimakatastrophe befinden wir uns als Akteur*innen in einem komplexen Netzwerk unterschiedlicher menschlicher, tierlicher, pflanzlicher und weiterer Entitäten. Die Akteur-Netzwerk-Theorie von Bruno Latour bietet eine diversifizierende Perspektive auf vegetabile Lebewesen: Mehr-als-menschliche Entitäten bringen uns dazu, Dinge zu tun. Dabei variiert der Grad der Abhängigkeit in Mensch-Pflanzen-Beziehungen. Die Beiträger*innen wagen eine Neuperspektivierung, begegnen diesem Verhältnis kritisch und fragen: Was ist vegetabile agency und welche Formen sind zu beobachten? Wann, wo und wie werden sie dargestellt? Und welche Hierarchien werden dabei konstruiert?
Martin Böhnert / Maria Hornisch / Annika Rink (Hg.): Apokalypse und Apathie. Handlungs(un)fähigkeiten in der Klimakrise. Bielefeld: transcript 2025 (= Climates - Cultures - Contexts 1).
Die Klimakrise prägt den öffentlichen Diskurs seit Jahrzehnten. Expert*innen und Extremwetterlagen weisen auf die potenziell apokalyptischen Konsequenzen hin, doch ein gesamtgesellschaftliches Handeln im notwendigen Maße findet nicht statt. Letztlich übersteigt die Krise unseren zeitlichen und räumlichen Erfahrungshorizont und eine rein faktenbasierte Vermittlung scheint nicht auszureichen, um Überforderung und Resignation angemessen zu begegnen. Daher loten die Beiträger*innen aus den Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften neue Darstellungs- sowie Vermittlungsformen aus, um die Klimakrise als vielfältig verwobenen Problemkomplex zu erfassen – und machen sichtbar, wie darin mögliche Weltuntergänge, Akteur*innen und ihre Möglichkeiten verhandelt werden.
Lars Heiler: Ritual, Family and Therapy in Anglophone Literatures. Cham: Palgrave Macmillan 2025.
This book investigates the triadic constellations between ritual, family, and therapy in literature in English. Many rituals, so-called rites of passage in particular, are strongly associated with the changing status of individuals as members of a family unit. Traditional healing rituals were often designed to have a therapeutic effect, sometimes mentally, but also physically, whereas modern psychotherapies often include ritual elements in order to enhance the efficacy of their treatment. Families, on the other hand, can be the site of therapeutic activity by providing protection, stability, and emotional comfort; yet, difficult family constellations may also be the origin of emotional distress and the reason why a person needs counselling and therapeutic support in the first place. Modern therapies, such as family systems therapy, have expanded their range of interest and influence in order to look at the whole family unit, not just the symptomatic individual, as client. This study discusses nine literary texts—six novels, one literary memoir, and two plays—in which the three dimensions intersect and mutually influence each other.
Jennifer Pavlik / Theele, Ivo / Bräutigam, Paul: »Europa« im Literaturunterricht. Didaktische, fachwissenschaftliche, schulische und curriculare Perspektiven. Metzler 2025 (= Deutschdidaktik).
Der Band dokumentiert die Ergebnisse einer Tagung, auf der Fachdidaktiker:innen, Fachwissenschaftler:innen, Lehrer:innen und Vertreter:innen der Bildungsverwaltung diskutierten, wie europasensibler Literaturunterricht aussehen könnte. Die Beiträge knüpfen an den Beschluss der Kultusministerkonferenz „Europabildung in der Schule“ an, differenzieren und spezifizieren diesen für den Literaturunterricht. In unterschiedlichen Perspektiven werden Potentiale einer Europabildung mit ästhetischen Medien, die curriculare Verankerung derselben sowie Möglichkeiten der Etablierung einer langfristigen Europabildung im Unterrichtsfach Deutsch erörtert.
Paul Gerhard Klumbies: Theologie der synoptischen Evangelien. Tübingen: Mohr Siebeck 2025.
Zu jeder Evangelienschrift gibt es zahlreiche Einzeluntersuchungen. Eine Gesamtschau der drei ersten Evangelien unter theologischer Perspektive fehlt hingegen. Paul-Gerhard Klumbies richtet im vorliegenden Band den Blick auf das, was die drei Evangelienschriften in theologischer Hinsicht miteinander verbindet. Dabei nimmt er die ersten drei Evangelien in ihrer Gesamtheit als einen eigenständigen Typ christologischer Literatur wahr. In narrativer Form geben die synoptischen Jesuserzählungen Auskunft über den Inhalt des Christusglaubens. Die exegetische Forschung hat eine Fülle detaillierter Erkenntnisse zu den Synoptikern hervorgebracht. Die gewonnenen Ergebnisse wurden in separaten Veröffentlichungen zur Theologie des Markus-, des Matthäus- und des Lukasevangeliums zusammengefasst und nebeneinandergestellt. Eine gemeinsame Bezugnahme auf alle drei Evangelienschriften unter theologischem Blickwinkel steht jedoch aus. Die Theologie der synoptischen Evangelien führt über die Addition theologischer Beobachtungen zum Markus-, Matthäus- und Lukasevangelium hinaus. Die Gemeinsamkeit der drei ersten Evangelien und zugleich ihr Alleinstellungsmerkmal gegenüber den übrigen Schriften des Neuen Testaments liegen in der auf die Person Jesu bezogenen Christologie.
Andreas Heek/Aurica Jax/Ilse Müllner/Annegret Reese-Schnitker (Hg.): Zur Sprache bringen. Biblische Texte und sexualisierte Gewalt in Pastoral und Schule. Ostfildern: Matthias Grünewald 2024.
Der Missbrauchsskandal erschüttert die katholische Kirche, und das seit Jahren. Sexualisierte Gewalt in kirchlichen Räumen ist kein Einzelfall, sondern wird von einem System gestützt, das Macht, Gewalt und Sexualität zu einer lebensfeindlichen Verbindung zusammenfügt.
Im vorliegenden Band werden biblische Texte kritisch gelesen, um die Systeme sexualisierter Gewalt zu verstehen und um in den Texten nach Ressourcen von Stärke und Resilienz zu suchen. Die Autor*innen aus verschiedenen Feldern kirchlichen Handelns (Schule, Pastoral, Erwachsenenbildung, Wissenschaft) zeigen exemplarisch, wie mit Hilfe dieser Texte in Pastoral und Schule eine Sprache für sexualisierte Gewalt gefunden werden kann, die befreienden Charakter hat.
Mirja Kutzer/Ilse Müllner/Annegret Reese-Schnitker (Hg.): Heilige Räume. Verständigungen zwischen Theologie und Kulturwissenschaft. Stuttgart: Kohlhammer 2024.
Religion ist dort besonders sichtbar, wo Gemeinschaften Räume als "heilig" ausgewiesen haben. In Tempeln, Synagogen, Kirchen oder Moscheen, aber auch in der Natur finden Menschen oftmals eine besondere Atmosphäre. In verschiedener Weise laden Heilige Räume dazu ein, bestimmte Handlungen durchzuführen, andere aber zu unterlassen. Wie werden Räume zu "heiligen" Räumen? Und wie strukturiert das Medium Raum das Heilige? Die Beiträge verschränken religionswissenschaftliche, theologische sowie kulturwissenschaftliche Perspektiven und zeigen die Fruchtbarkeit dieser Verflechtung für den interreligiösen wie den religiös-säkularen Austausch. Im Rückgriff auf einen weiten Raumbegriff wird gefragt: Inwiefern kann Räumen Heiligkeit zugeordnet werden? Wie wird dies begründet und praktiziert? Wie organisieren Heilige Räume die Verbindung zwischen Transzendenz und Immanenz, zwischen Gott und Mensch oder Menschen untereinander? Heilige Räume kommen dabei auch als besondere Orte religiösen Lernens in den Blick.
Der Band bildet nach "Heilige Texte" den zweiten Teil einer Trilogie zu den kulturellen Vermittlungen des Heiligen. Im Zentrum des dritten Teils werden "Heilige Zeiten" stehen.