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Expertengremium „Forum Privatheit“ verteidigt Netzwerkdurchsetzungsgesetz
Vor allem in großen sozialen Netzwerken wie Twitter oder Facebook gibt es zunehmend von Hass geprägte Äußerungen gegenüber Einzelnen und Minderheiten, die die strafrechtlichen Tatbestände der Beleidigung, Verleumdung oder Volksverhetzung erfüllen. Obwohl die Anbieter von Informationsplattformen bereits seit 20 Jahren dazu verpflichtet sind, solche Äußerungen zu entfernen, wenn sie konkret darauf hingewiesen werden, sind die Betreiber sozialer Netzwerke dieser Verpflichtung trotz vielfacher Forderungen aus Politik und Gesellschaft bisher gar nicht oder unzureichend nachgekommen.
Um diese rechtliche Verpflichtung besser durchzusetzen, fordert das Netzwerksdurchsetzungsgesetz (NetzDG) seit Jahresbeginn von den Betreibern sozialer Netzwerke mit mehr als 2 Mio. Teilnehmern in Deutschland, ein wirksames Beschwerdemanagement einzurichten und halbjährlich über ihren Umgang mit Beschwerden zu berichten. Auf eine Beschwerde hin müssen sie Inhalte, die „offensichtlich“ strafbar sind, innerhalb von 24 Stunden löschen oder sperren. Über andere strafbare Inhalte müssen sie innerhalb von sieben Tagen entscheiden. Wenn sie kein wirksames Beschwerdemanagement einrichten oder ihrer Berichtspflicht nicht genügen, droht ihnen ein Bußgeld von bis zu 50 Mio. Euro. Für eine Fehlentscheidung im Einzelfall, etwa eine unterbliebene Entfernung eines strafbaren Inhalts, sieht das NetzDG kein Bußgeld vor.
Kein Overblocking durch das NetzDG
Dennoch richtet sich die stärkste Kritik dagegen, dass das NetzDG zu einem „Overblocking“ verleite. Die Betreiber der Netzwerke würden aus Angst vor Bußgeldern gemeldete Inhalte im Zweifel lieber sperren als weiter publizieren. Die Rechtsabteilungen der Betreiber wissen jedoch genau, dass sie keine Bußgelder befürchten müssen, wenn sie im Einzelfall einen strafbaren Inhalt zu Unrecht nicht sperren. „Facebook oder Twitter reagieren nicht aus ‚Angst‘. Die wenigen spektakulären Fehlentscheidungen wurden wohl eher aus dem Interesse getroffen, die neue, für sie sehr aufwändige Regelung zur Einrichtung eines Beschwerdemanagements in Misskredit zu bringen“, vermutet der „Forum Privatheit“-Sprecher und Rechtswissenschaftler der Universität Kassel Prof. Dr. Alexander Roßnagel. „Die Kritik am ‚Overblocking‘ unterstützt dieses Interesse.“
Kein Angriff auf die Meinungsfreiheit
Das Sperren eines Beitrags in einem sozialen Netzwerk ist zwar ein Eingriff in die Meinungsfreiheit. Diese ist aber mit den Rechten des Einzelnen oder einer Gruppe abzuwägen, die durch die Äußerung verletzt werden. Wenn sie eine strafbare Schmähkritik, Formalbeleidigung oder Volksverhetzung beinhaltet, muss die Meinungsfreiheit gegenüber dem Schutz dieser Rechte zurücktreten. „Die Kritik verkennt oft, dass das NetzDG keine bestimmte Meinung verbietet. Es erleichtert lediglich, Inhalte, die nach dem Strafgesetz verboten sind und auch vor Inkrafttreten des NetzDG bereits strafbar waren, zu beseitigen“, so Roßnagel.
Keine Verlagerung staatlicher Aufgaben auf private Anbieter
Das NetzDG verlagert auch nicht staatliche Aufgaben auf private Anbieter oder gibt diesen Kompetenz zur Zensur, wie die Kritiker des NetzDG behaupten. Vielmehr ist seit 1997 jeder Anbieter einer Informationsplattform rechtlich verpflichtet, fremde Informationen mit strafbaren Inhalten zu beseitigen, wenn sie ihm angezeigt werden. Durch das NetzDG kann diese Verpflichtung nun auch tatsächlich gegenüber großen Plattformbetreibern durchgesetzt werden. Der Maßstab, was gelöscht werden muss, wird nicht von den Betreibern sozialer Netzwerke gesetzt. Maßgeblich sind allein die deutschen Strafgesetze.
Keine zu kurzen Fristen – im Gegenteil
Kritik wird auch daran geübt, dass „offensichtlich rechtswidrige“ Inhalte innerhalb von 24 Stunden zu sperren sind. Diese Pflicht wird als zu streng angesehen. Sie gilt jedoch nur, wenn die Strafbarkeit von schweren Persönlichkeitsrechtsverletzungen oder eindeutigen Volksverhetzungen ohne vertiefte Prüfung zu erkennen ist. Dann ist eine Reaktion innerhalb von 24 Stunden zumutbar. Im Zweifel, so die Gesetzesbegründung, ist davon auszugehen, dass die Strafbarkeit nicht „offensichtlich“ ist. Die Kritik verkennt außerdem das Schutzbedürfnis der Betroffenen, wenn sie mit offensichtlich strafbaren Inhalten angegriffen werden. „Aus psychologischer Sicht ist diese Frist sogar noch viel zu lang, um die Fehlinformationen aus der Welt zu schaffen. Es ist empirisch nachgewiesen, dass auch Informationen, die sich später als falsch oder fehlerhaft erweisen, nicht vergessen oder im Gedächtnis mit der korrekten Information überschrieben werden“, gibt die Psychologieprofessorin Nicole Krämer von der Universität Duisburg-Essen, ebenfalls Mitglied des Expertengremiums „Forum Privatheit“, zu bedenken. „Außerdem orientieren sich nachfolgende Beiträge am Tenor der Debatte, so dass ein rechtswidriger Inhalt mit hoher Wahrscheinlichkeit weitere Postings mit ähnlichem Muster nach sich zieht. Besser wäre es daher, die Betreiber der Netzwerke bei Vorliegen von ‚offensichtlich‘ rechtswidrigen Inhalten zu verpflichten, unmittelbar nach Eingang der Beschwerde zu prüfen, zu entscheiden und zu handeln.“
Wichtiger Schritt zur Bekämpfung von strafbaren Falschnachrichten
„Das NetzDG ist ein wichtiger Schritt zu einer effektiven Bekämpfung von strafbaren Falschnachrichten und der Gefährdung öffentlicher demokratischer Diskussion. Es zwingt nun auch die Betreiber großer sozialer Netzwerke, ihrer schon immer bestehenden und bisher vernachlässigten gesellschaftlichen Verantwortung nachzukommen“, so Roßnagel. „Das Gesetz ermöglicht den Opfern von aggressiven Beschimpfungen, Abwertungen oder Verleumdungen eine kostenlose und vergleichsweise schnelle Durchsetzung ihrer Rechte – ohne Rechtsanwälte, Gebühren und Kosten“.
Kapazitäten schaffen, um das Gesetz zu vollziehen
Nach den Untersuchungen des „Forum Privatheit“ sind Nachbesserungen des Gesetzes notwendig, um den Schutz von Autoren zu verbessern, deren Beiträge zu Unrecht blockiert werden. Verbessert werden müssen auch die zivilrechtlichen Rechtsschutzmöglichkeiten der Betroffenen und der einstweilige Rechtsschutz gegenüber dem Angreifer. Roßnagel stellt klar: „Es wäre jedoch ein großer Fehler, anzunehmen, dass der Staat mit dem NetzDG bereits ausreichend gegen Desinformation, Verleumdungen und diskriminierende Hetze vorgehe. Zusätzlich muss er auch die Kapazitäten schaffen, um das Gesetz tatsächlich zu vollziehen. Noch wichtiger als die Fortsetzungen der Verletzungen zu unterbinden, ist es, die Straftäter schnellen und effektiven Strafverfahren zuzuführen.“
Das Policy Paper „Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz“ (http://www.forum-privatheit.de/forum-privatheit-de/publikationen-und-downloads/veroeffentlichungen-des-forums/positionspapiere-policy-paper/Policy-Paper-NetzDG.pdf) bietet grundlegende Informationen über Inhalt und Wirkungsweise des Gesetzes sowie berechtigte und unberechtigte Kritik daran.
Im vom BMBF geförderten Forum Privatheit setzen sich Expertinnen und Experten aus sieben wissenschaftlichen Institutionen interdisziplinär mit Fragestellungen zum Schutz der Privatheit auseinander. Das Projekt wird vom Fraunhofer ISI koordiniert. Weitere Partner sind das Fraunhofer SIT, die Universität Duisburg-Essen, das Wissenschaftliche Zentrum für Informationstechnik-Gestaltung (ITeG) der Universität Kassel, die Eberhard Karls Universität Tübingen, die Ludwig-Maximilians-Universität München sowie das Unabhängige Landeszentrum für Datenschutz Schleswig-Holstein.
Sprecher „Forum Privatheit“:
Prof. Dr. Alexander Roßnagel
Universität Kassel
Projektgruppe verfassungsverträgliche Technikgestaltung (provet)
Forschungszentrum für interdisziplinäre Technik-Gestaltung (ITeG)
Tel: 0561/804-3130 oder 2874
E-Mail: a.rossnagel@uni-kassel.de
Projektkoordination „Forum Privatheit“:
Dr. Michael Friedewald
Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI
Competence Center Neue Technologien
Tel.: 0721 6809-146
E-Mail: Michael.Friedewald@isi.fraunhofer.de
Presse und Kommunikation „Forum Privatheit“:
Barbara Ferrarese, M.A.
Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI
Tel.: 0721 6809-678
E-Mail: presse@forum-privatheit.de
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